Auf Spurensuche ins Reich der Tiefe
An manchen Orten der Osteifel zittert der Erdboden monatlich mehrfach. Zwar sind die meisten Erdbeben rund um Ochtendung so schwach, dass die Bewohner der Eifel sie gar nicht bemerken. Doch die Aufzeichnungen der Seismometer beweisen es: Der Untergrund der Osteifel ist unruhig.
Die Erdbebenzentren der Osteifel befinden sich fast immer oberflächennah in der Erdkruste. Ihre Herde liegen maximal 24 Kilometer, meist aber weniger als 15 Kilometer tief. Forschern der Erdbebenwarte Bensberg der Universität zu Köln ist dabei aufgefallen, dass sich die Ereignisse rund um die sogenannte Ochtendunger Störung extrem häufen.
Die Ochtendunger Störung ist eine geologische Verwerfung. Sie beginnt südlich des Laacher See-Vulkans und reicht von Nord-West nach Süd-Ost in Richtung des Orts Ochtendung. Die Störungszone verläuft damit parallel zur Niederrheinischen Bucht, dem Rheindurchbruch und dem Neuwieder Becken. Die Bruchrichtung ist einige 10 Millionen Jahre alt. Die Störung wurde zudem durch magmatische Gänge von jungen Vulkanen durchbrochen, die in der Nähe ausbrachen.
Gründe für die Erdbeben
Die Ochtendunger Störung ist wie der Oberrheingraben und die Niederrheinische Bucht ein Teil des durch Europa verlaufenden riesigen, verzweigten Grabenbruchsystems: das European Cenozoic Rift System (ECRIS). Bisher ging man davon aus, dass alle Erdbeben entlang der Verwerfung eine rein tektonische Ursache haben, also durch Kollisions- und Dehnungsprozesse an fernen Kontinentalplattengrenzen ausgelöst werden.
Doch neuere Messergebnisse deuten darauf hin, dass auch noch andere Faktoren eine Rolle spielen können. Der Geophysiker Joachim Ritter vom Karlsruher Institut für Technologie vermutet, dass aufsteigende Tiefenwässer und Gase, sogenannte Fluide, in der Ochtendunger Störung den Normaldruck auf die Verwerfungen im Gestein herab setzen. Dadurch könnten tektonische Spannungen des Rheingraben-Bruchsystems an solchen Stellen, an denen Fluide aufsteigen, leichter als üblich zu Mikroerdbeben führen. Aufsteigende Fluide könnten demnach leichte tektonische Erdbeben begünstigen, möglicherweise rufen sie sogar zusätzlich durch ihre Eigenbewegung und den dadurch erhöhten Druck in den Zwischenräumen der Gesteine selber kleine Erdbeben hervor. Die Hypothese könnte erklären, warum an der Ochtendunger Störung auffällig gehäuft schwache Erdbeben auftreten.
Erdbebenschwärme in der Eifel
Tatsächlich registrierte die Erdbebenwarte Bensberg zwischen Januar und August 2011 im Bereich der Ochtendunger Störung einen ungewöhnlichen und zeitlich begrenzten Anstieg der Mikroerdbeben. Statt vier bis fünf Beben im Monat erzitterte die Erde monatlich bis zu 38 Mal. Weil ein Haupterdbeben fehlte und die Mikrobeben gehäuft auftraten, spricht man von einem Erdbebenschwarm.
Normalerweise bestehen Erdbebenschwärme aber aus zehntausenden Mikrobeben, die die Erde in kurzer Zeit erzittern lassen, so jedenfalls in den magmatisch hoch aktiven Regionen Europas. Auch wenn der Erdbebenschwarm der Eifel weit weniger Mikroerdbeben aufwies, machen diese Messungen deutlich: Nur über einen Ausbau von Erdbebenmessstationen und Gasmessstellen in der Eifel wird man die Prozesse in der Erdkruste und im Erdmantel in Zukunft besser verstehen können.
Die tiefsten Erdbeben Deutschlands
Weitere Erdbebenmessungen im Jahre 2013 ergaben eine kleine Sensation: Die Seismometer des Erdbebendiensts Südwest und der Erdbebenwarte Bensberg der Universität zu Köln zeichneten die zwei tiefsten Erdbeben auf, die jemals in Deutschland gemessen worden sind. Die Epizentren der beiden Beben lagen in der Eifel - im Erdmantel etwa 40 Kilometer unter der Ochtendunger Störung.
Die Tiefe der Beben legt einen weiteren Grund für die Entstehung von Beben in der Störungszone nahe. Denn im Erdmantel scheidet Tektonik als Verursacher von Erdbeben aus. Hier ist das rund 900 Grad heiße Gestein nicht mehr fest, sondern eine extrem zähe, kristalline Masse. Dieses magmatische Gestein kann daher nicht bruchhaft zerreißen, wie es bei den festen Gesteinen und tektonischen Erdbeben mit ihren Herden in der höher gelegenen Erdkruste der Fall ist. Diese zwei tiefen Erdbebenherde gelten daher als Indiz dafür, dass in der Osteifel im obersten Teil des Erdmantels offenbar Gesteinsschmelzen aktiv unterwegs sind, wenn auch extrem langsam. Weitere mögliche Hinweise auf aktive magmatische Prozesse im oberen Erdmantel knapp unter der Erdkruste der Osteifel liefern Gasmessungen des Geologen Dr. Horst Kämpf und der Isotopenchemikerin Dr. Karin Bräuer aus den Helmholtz-Zentren in Potsdam und Halle an der Saale.
Der Vulkanismus heute
In der Eifel brachen mehr als 700 Vulkane aus. Die Ausbrüche verteilten sich grob auf zwei unterschiedliche Zeitabschnitte, zwischen denen eine lange Verschnaufpause lag. Vor rund 45 bis 34 Millionen Jahren waren 350 basaltische Vulkane aktiv. Sie lagen im sogenannten Hocheifel-Vulkanfeld. Die jüngere tertiäre Ausbruchsphase fand erst vor 700.000 bis 10.000 Jahren statt und endete mit dem Ausbruch des Ulmener Maars vor 10.900 Jahren. Die circa 240 jungen Vulkane verteilten sich auf ein Vulkanfeld im Westen und eines im Osten der Eifel. Dabei förderte der hoch explosive Laacher See-Vulkan in der Osteifel fast doppelt so viel Auswurfmaterial wie die restlichen Vulkane der Ost-und Westeifel zusammen.
Aber woher wurden die jungen Vulkane der Eifel damals mit Magma gespeist und welche Art von magmatischer Aktivität gibt es heute noch tief unter der Eifel? Um diesen Fragen auf den Grund zu gehen, rief der Geophysiker Joachim Ritter, der heute am Karlsruher Institut für Technologie forscht, im Jahre 1997 das europäische Eifel-Plume-Projekt ins Leben. Es ist das bisher umfangreichste seismologische Feldexperiment dieser Art in Europa. Mit Hilfe von stationären und mobilen Erdbeben-Messstationen wurde eine sogenannte seismische Tomographie erstellt. Der Großteil der 250 hauptsächlich mobilen Erdbeben-Messstationen lag in der Eifel. Der Rest verteilte sich auf Nordrhein-Westfalen, Frankreich, Belgien und Luxemburg.
Bei den Messungen machten sich die Forscher die Wellen von starken Erdbeben rund um die Welt zu Nutze. Die Wellen eines heftigen Erdbebens, z.B. im rund 8.500 Kilometer entfernt liegenden Mexiko, sind beispielsweise in weniger als 10 Minuten in der Eifel zu spüren. Entscheidend für die Untersuchung des Erdinneren ist dabei, dass die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Wellen langsamer wird, wenn sie durch eine Region hindurch wandern, die lokal wärmer als ihre Umgebung ist. Die Aufzeichnungen der 250 Stationen ermöglichen es, die zeitversetzten Ankunftszeiten der Erdbebenwellen zu bestimmen. Anschließend wird mit komplizierten Algorithmen ein dreidimensionales Bild des Erdinneren berechnet. Die Methode ist vergleichbar mit einer computertomographischen Aufnahme in der Medizin.
Die thermische Anomalie unter der Eifel
Das Ergebnis ist beeindruckend: In einer schlauchförmigen Zone unter der Eifel verringerte sich die Geschwindigkeit der Erdbebenwellen. Dort liegt offensichtlich ein großer Bereich des Erdmantels, der heißer als das umliegende Mantelgestein ist und daher vermutlich Schmelzanteile enthält. Dem skurrilen Gebilde gab der Geowissenschaftler Dr. Joachim Ritter den Namen Eifel-Plume. "Plume" heißt im Englischen "buschige Feder" . Der Eifel-Plume liegt zwischen 45 und mindestens 400 Kilometern tief unter dem größten Teil der Eifel und ist 100 Kilometer breit. In viel größerer Tiefe als unter der Eifel erstreckt sich der heiße Bereich auch bis unter den Vogelsberg-Vulkan nordöstlich von Frankfurt. Im Eifel-Plume ist die Gesteinstemperatur rund 150 Grad heißer als das zäh bewegliche Mantelgestein der Umgebung. Ähnlich wie bei einer Lavalampe steigt das heiße Gestein des Plumes auf, allerdings mit nur rund 10 Zentimetern pro Jahr.
Der Vulkanismus der Eifel ist eine Besonderheit, denn er entwickelte sich inmitten einer Kontinentalplatte und dies, wie man annimmt, durch das Magma, dass darunter aus dem Plume nach oben stieg. Dieser sogenannte Intraplatten-Vulkanismus unterscheidet sich von den meisten anderen Vulkanen der Erde, die entlang des bekannten Pazifischen Feuerrings ausbrechen. Der Feuerring aus aktiven Vulkanen zeichnet die Grenzen der Lithosphäreplatten nach, die gegeneinander reiben und dadurch ständig Erdbeben erzeugen.
Mantel-Plumes kommen auch in anderen Vulkangebieten der Erde vor. Diese Gebiete werden als Hotspot bezeichnet, wenn gerade aktive Vulkane, die sich aus den Magmen der Plumes speisen, Lavamengen an der Erdoberfläche schleudern. Die bekanntesten Mantel-Plumes liegen unter dem Yellowstone Nationalpark sowie unter den Inseln Island, La Réunion und Hawaii. Diese vier Hotspot-Vulkangebiete sind weitaus größer als der Eifel-Vulkanismus. Vor 12.900 Jahren, als der Laacher See-Vulkan ausbrach, war die Eifel offenbar auch ein aktiver Hotspot.
Der Mantelplume zur Zeit des Laacher See-Vulkanausbruchs
Wie stieg aber damals das Magma vom Plume an die Oberfläche? In einem Prozess, der sich über mehrere Zehntausend Jahre erstreckte, kroch zähflüssiges Magma aus dem Kopf des Plumes bis an die Basis der festen Erdkruste hoch. Dort, an der sogenannten Moho, blieb es stecken, weil die Erdkruste eine geringere Dichte als das Magma hat. Es bildeten sich Schmelzansammlungen, die man "Underplating" nennt. Da die Erde außen kälter ist als innen, kühlte das steckengebliebene Magma ab. Kristalle begannen zu wachsen, so dass eine erste chemische Umwandlung des Magmas stattfand. Diese Phase dauerte wieder viele Zehntausend Jahre. Dabei entstanden nicht nur erste Mineralien, sondern auch ein Gasgemisch, in dem viel Kohlendioxid enthalten war. Dieses löste sich entlang der Moho aus den erkaltenden Magmen heraus. Nur etwa 10 Prozent der nunmehr leichteren Gesteinsschmelze schafften in den folgenden Tausenden Jahren den weiteren Aufstieg nach oben, insbesondere durch Gesteinsrisse, die durch tektonische Störungen verursacht worden waren. Doch erneut blieb die Schmelze stecken, als sie die obere Erdkruste erreichte. Hier schmolz das Magma auch Teile des umgebenden festen Gesteins der Erdkruste an, eine sogenannte Magmakammer entstand.
Unter der Eifel – damals und heute
Als am Ende der chemischen Umbildung des Magmas der Gasdruck in der Magmakammer zu hoch wurde, brach der Laacher See-Vulkan mit einer unvorstellbar großen Explosionskraft aus. Heute vermutet man, dass lokal begrenzte Aufschmelzungen ein paar Kilometer oberhalb des Eifel-Plumes in nur circa 40 Kilometer Tiefe stattfinden. Hinweise darauf lieferten zwei tiefe Erdbeben im Jahr 2013. Auch erste Stichproben von Gasmessungen deuten auf solche magmatischen Aktivitäten im oberen Erdmantel dicht unter der Grenze zur Erdkruste hin.