Schon vor den Eiszeiten hatte der Rhein ein tiefes Tal in die Jurakalke eingeschnitten. Während der Eiszeiten wurde dieses alte Tal unter Moränen und Schmelzwasserablagerungen begraben. Der Rhein hat nach den Eiszeiten sein altes Bett nicht wiedergefunden, sondern sich im Aufschüttungsniveau verlagert. Beim Einschneiden in die Schotterfüllungen traf er bei Schaffhausen auf eine verborgene Kalkschwelle. Auf dem harten Untergrund wurde die Tiefenerosion gestoppt bzw. verzögert, so entstand der Rheinfall.
Die verminderte Tiefenerosion ist durch zwei Tatsachen erklärbar:
- Dem Fluss fehlen Erosionswaffen, da die Gerölle im Bodensee absedimentiert wurden.
- Kalk ist ein morphologisch hartes Gestein. Dies erklärt sich aus seiner Durchlässigkeit. Bei morphologisch weichem Gestein kann das Wasser nicht eindringen; seine Erosionskraft "kann sich ganz auf der Oberfläche entfalten".
Im Oberrheingebiet durchfließt der Rhein eine große Ebene. Das Flussgefälle nimmt mit dem Eintritt in diese Ebene ab. Damit sinkt seine Fließgeschwindigkeit und die Transportkraft. In der Folge lagerten sich in den letzten Jahrtausenden ständig Sedimente ab. Der Fluss schüttete fortwährend sein Bett zu, was zu Verlagerungen und Stromverästelungen führte.
Das Gebiet vor 200 Jahren
Es entstand eine Landschaft aus Flussarmen und Inseln, die wegen ständiger Flusslaufverlagerungen, hohen Grundwasserständen und Überschwemmungen äußerst siedlungsfeindlich war. Noch vor 200 Jahren lagen etwa 2000 Inseln im Strom zwischen Basel und Karlsruhe. Fortwährend änderte der Rhein seinen Lauf. Nach jedem Hochwasser verschwanden Inseln und bildeten sich neue. Eine exakte Kartenaufnahme und Grenzziehung war deshalb nicht möglich. Gravierender jedoch war die andauernde Gefahr für die Menschen. Überspülte Dörfer und Wassermassen, die noch Monate später in tief gelegenen Gebieten standen, prägten die Landschaft der Oberrheinischen Tiefebene. Sümpfe bildeten sich und Seuchen wie Malaria und das Sumpffieber suchten die Menschen heim. Die Lebensgrundlagen waren karg: Fischfang, etwas Wild, Holz aus den schwer zugänglichen Auewäldern. Ein Chronist des 19. Jahrhunderts schrieb über den Fluss, er sei "der schreckliche Feind, der nicht nachlässt zu toben, bis er nicht Land und Leute verdorben hat". Die Menschen am Oberrhein wollten eine ertragreiche Landwirtschaft und eine Befreiung von der ständigen Bedrohung.
Tullas Rheinkorrektur oder "Rektifikation" sollte die Lösung bringen. Johann Gottfried von Tulla, geboren 1770 in Karlsruhe, Ingenieur, hatte in Paris Wasserbau studiert. 1812 trug er der großherzoglichen Regierung von Baden seine Pläne zur Korrektur des Rheines vor, die vor allem auf Hochwasserschutz und Landgewinnung abhoben. Nach seiner Devise sollten "in kultivierten Ländern die Bäche, Flüsse und Ströme Kanäle sein und die Leitung der Gewässer in der Gewalt der Bewohner stehen".
Tullas Methode war es, den verästelten und mäandrierenden Strom auf ein Hauptbett zu konzentrieren. Man begann 1817 mit der Schaffung künstlicher Durchstiche zwischen zwei Schlingen und schüttete die alten Flussschlingen an ihrem Einlauf zu. Außerdem wurde der "neue Rhein" durch Hochwasserdämme gesichert.
1876 war Tullas Werk vollendet. Das Ergebnis der Tullaschen Rheinkorrektur war eine Verkürzung des ursprünglichen Verlaufs zwischen Basel und Mannheim um 90 km, ein Viertel seiner Länge. Der Rhein floss nun schneller und damit nahm die Tiefenerosion zu. Mit dem Flusswasserspiegel sank auch der Grundwasserspiegel. Der Rhein war nun also nicht nur in ein Bett gezwängt, die ganze Landschaft wurde trockener.
Der Rheinseitenkanal
Die folgende große Maßnahme sollte vor allem der Energiegewinnung dienen. Im Versailler Vertrag von 1919 war Frankreich das Recht auf totale Nutzung des Rheinwassers als Kriegsentschädigungsleistung zugesprochen worden. Die Franzosen bauten daraufhin den Rheinseitenkanal (Grand Canal d´Alsace) und mehrere Kraftwerke. Der Kanal ist seitlich ausbetoniert und an der Sohle abgedichtet. 98% des Rheinwassers wird in den Kanal geleitet und dient der Stromerzeugung an den Kraftwerken. Die Abdichtung verhindert, dass Kanalwasser ins Grundwasser gelangt. Starkes Absinken des Grundwasserspiegels war die Folge und damit starb der Auenwald ab. Daher entschied man sich, beim weiteren Ausbau nördlich von Breisach auf die "Schlingenlösung" umzusteigen.
Die Schlingenlösung / Staustufen
Der Schifffahrtsweg verläuft abwechselnd im Rhein und im Kanal, den Schlingen. An den Schlingen liegen Staustufen mit Kraftwerken und Schiffsschleusen. Im Altrhein wurden Kulturwehre gebaut, die dafür sorgen, dass immer genügend Wasser im Flussbett ist und damit ein weiteres Absinken des Grundwasserspiegels verhindert. Das Absinken des Grundwasserspiegels konnte durch die Schlingenlösung verringert werden. Als Problem blieb aber die Tiefenerosion des Flusses aufgrund seiner Verkürzung und des damit einhergehenden stärkeren Gefälles bestehen. Der Bau weiterer Staustufen bei Gambsheim und Iffezheim sollte neben der Energiegewinnung der Vermeidung einer weiteren Sohlenerosion dienen.
Phasen der Eingriffe in den Naturhaushalt am Oberrhein (nach Rolf Koch)Phase | Eingriff | Grund | Projekt |
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I | Begradigung | Hochwasserschutz, Landgewinnung | nach Tulla: 1818 erster Durchstich, 1830-1879 (Hauptarbeit) |
| Rheinregulierung | Schifffahrt auch bei Niedrigwasser | nach Honsell: 1912-1940 |
II | Rheinseitenkanal in Parallelbauweise
(Basel-Breisach) | Energiegewinnung | französisches Projekt (Grundlage Versailler Vertrag)
1928-1959 |
III | Schlingenlösung
(Breisach-Straßburg) | Energiegewinnung, Grundwasserstabilisierung | französisches Projekt
(Deutsch-französisches Abkommen 1956)
1961-1970 |
IV | Bau von Stautufen im Rhein
(Straßburg-Karlsruhe) | Bekämpfung der Sohlenerosion | deutsch-französisches Projekt;
2 Stufen gebaut; Bau der 3. Stufe (bei Neuburgweier) aufgehoben zugunsten der Geschiebezugabe |
Ökologische Wirkungskette
Die Prozesse, die sich im südlichen Oberrheingebiet abspielten sind exemplarisch für ökologische Wirkungsketten. Um sie zu begreifen, muss erst der ehemalige Zustand beleuchtet werden. Der wichtigste ökologische Faktor im Auenwald-Ökosystem war das Wasser. Die Vegetation war auf die regelmäßigen Überflutungen und hohe Grundwasserstände angewiesen. Die Überschwemmungen brachten mit den eingeschwemmten Sedimenten natürliche Düngung, so dass sich außerordentlich üppige Wälder vorherrschten. Die "Bändigung des Rheines" führte zur Trockenlegung der ganzen Landschaft. Der Grundwasserspiegel senkte sich um durchschnittlich acht Meter ab. Altwasserarme verlandeten und da wo ehemals Auenwälder anstanden, siedelten sich trockenheitsliebende Pflanzen an.
Nicht nur die Ökologie des Gebietes änderte sich. Für den Menschen ergaben sich neue Probleme. So bildet das südliche Oberrheingebiet heute eine Trockeninsel, in der immer tiefere Brunnen gegraben werden müssen, um die Bewässerung der Felder zu gewährleisten.
Folgen der Korrektur
Modell des Eingriffs des Menschen in den Naturhaushalt der Oberrhein-Niederung (frühere Oberrheinaue)
Folgen der Rheinkorrektur: Überschwemmungen und Hochwasserschutz
Hochwasserereignisse gehören zu den natürlichen Erscheinungen von Flüssen und werden in natürlichen Auelandschaften nur selten zum Problem. Werden Flüsse aber in ein künstliches Bett gezwängt, wie z.B. der Rhein, dann fließt das Wasser schneller ab und wird für die Gebiete flussabwärts zur Gefahr. So sind die zunehmenden Überschwemmungskatastrophen am Mittel- und Niederrhein u.a. durch die Korrekturen des Oberrheins zu erklären. Besonders in Mündungsbereichen kann es zu sehr hohen Wasserständen kommen. Ein Beispiel hierfür ist der Mündungsbereich des Neckar in den Rhein. Früher eilte die Neckarflutwelle dem Rhein voraus. Es kam deshalb selten zu Überschwemmungen. Als Folge der Rheinverkürzung aber treffen die Flutwellen der beiden Flüsse aufeinander, ihre Wirkungen addieren sich.
Da die Überflutungen der letzten Jahre zu großen Schäden führten, werden Überlegungen zu deren Vermeidung angestellt. Der Rhein kann nicht in sein altes Bett gebracht werden, es müssen neue Lösungen gefunden werden. Künstliche Rückhaltebecken, sog. Polder, sollen bei Bedarf geflutet werden und einen Teil des Wassers zurückhalten. Ökologen bevorzugen großflächigere und häufigere Flutungen, denn somit könnte die Auenvegetation begünstigt werden.
Zwischen Bingen und Bonn durchbricht der Rhein das Hindernis Rheinisches Schiefergebirge. Zwei Tatsachen sollen die Entstehung des Durchbruchstales verdeutlichen:
- Entgegen dem Flussgefälle steigt die sog. Mainzer Universitätsterrasse von Mainz in Richtung Loreley zunächst an, um sich am Nord-Ausgang des Rheindurchbruchs wieder abzusenken. Diese "Terrassenverbiegung" lässt sich dadurch erklären, dass sich der Rhein in ein langsam hebendes Gebirge eintieft.
- Terrassen in unterschiedlichen Höhenniveaus deuten darauf hin, dass Hebungs- und Einschneidungsvorgänge nicht gleichmäßig verliefen.
Das Zusammenwirken von tektonischer Hebung und linienhafter Tiefenerosion schuf ein antezendentes Durchbruchstal, d.h. der Fluss war schon vor der Gebirgshebung vorhanden. Entsteht ein Durchbruchstal ohne tektonische Beteiligung, wenn ein Fluss bei der Tiefenerosion auf einen Gesteinsriegel trifft, dann spricht man von einem epigenetischen Durchbruchstal.
Nach dem Verlassen des Rheinischen Schiefergebirges hat der Rhein mit der Maas zusammen einen riesigen Schwemmfächer aufgebaut. Erst zu Beginn unserer Zeitrechnung entstand der Niederrhein, der sich in den Niederlanden weiter aufgabelt. Da sich die Fließgeschwindigkeit des Wassers hier verringert, lässt auch seine Transportkraft nach. Deshalb wird sein Bett aufsedimentiert; es entstehen ständig neue Mündungsarme in einem Mündungsdelta.
Der Europoort
Die natürlichen Faktoren sind also ungünstig für die menschliche Nutzung des Raumes. Daher erklären sich die auch hier sehr starken Eingriffe in den Naturhaushalt des Mündungsdeltas. Es wurde eine Wasserstraße geschaffen, an der der größte Ölhafen Europas liegt, der Europoort. Dieser Hafen von Rotterdam ist der größte der Welt und der modernste von Europa. Er wurde 1966 eröffnet und liegt entlang des 33 km langen Nieuwe Waterweg. Der 1866 - 1872 erbaute Kanal verbindet Rotterdam mit der Nordsee. Der Europoort ist vor allem auf den Container-Umschlag spezialisiert und bildet den Endhafen der Rhein- und Maasschifffahrt.