Besetzung
Die Besetzung des Requiems entspricht der eines Oratoriums des 19. Jahrhunderts, wie sie von u. a. von Felix Mendelssohn Bartholdy geprägt wurde.
- Solo-Sopran, Solo-Bariton und vierstimmiger gemischter Chor, wobei die Solo-Partien quantitativ wie musikalisch sehr unterschiedlich ausfallen und der Chor zentrale Bedeutung hat. Hier floss deutlich wahrnehmbar Brahms‘ umfangreiche Vorerfahrung als Chorleiter sowie als Komponist zahlreicher kleinerer Chorwerke ein (1).
- Sinfonieorchester in „romantischer“ Besetzung, ergänzt durch Orgel ad libitum:
- 2 Flöten, Piccoloflöte, 2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte, Kontrafagott ad libitum
- 4 Hörner
- 2 Trompeten, 3 Posaunen, Tuba
- Pauken, mindestens 2 Harfen
- Streicher
Stilistische und gattungsmäßige Einordnung
Trotz seines Namens handelt es sich bei Johannes Brahms‘ „Deutschem Requiem“ nicht um ein Requiem im traditionellen Sinn. Der Musikwissenschaftler Tibor Kneif bezeichnet diese und ähnliche Kompositionen als „Pseudo-Requien“ (2): Brahms‘ Werk basiert weder auf den Texten des lateinischen Requiems, noch ist es für den liturgischen Gebrauch komponiert. Verwandtschaft zum lateinischen Requiem ist in erster Linie auf musikalischer Ebene gegeben, allgemein im Bereich der Satztypen (große Formen mit meist fugierten Schlüssen) (3), aber auch recht konkret wahrnehmbar – wenn etwa in Satz VI passend zu den Worten „zu der Zeit der letzten Posaune“ unverkennbar ein „Dies-irae“-Szenario heraufbeschworen wird. Obwohl Brahms glühender Patriot war – zur Zeit der Entstehung des Requiems tobten die deutschen Einigungskriege – , hat die Bezeichnung „deutsch“ im Titel des Werks keinen nationalistischen Hintergrund, sondern bezieht sich auf die Tatsache, dass der zugrundeliegende Text in deutscher Sprache gehalten ist.
Das „Deutsche Requiem“ ist von Beginn an für Konzertsaal oder Kirchenkonzert konzipiert und steht damit in einer Tradition, die um 1800 ihren Anfang nahm, beispielsweise mit der Umwidmung von W. A. Mozarts Requiem zur „Konzertmusik“. Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts wurden Requiem-Kompositionen mit zunehmender Selbstverständlichkeit auch im Konzertsaal aufgeführt oder von vorneherein für eine entsprechende Doppelnutzung konzipiert. Dabei ergaben sich auch neue inhaltliche Akzente: „Ein prachtvoll ausgestaltetes Requiem wird mehr und mehr als autonomes Kunstwerk gesehen, welches seine Aussage unabhängig von der Liturgie in sich tragen kann. Paradebeispiel für ein solches Requiem, welches zwar noch in einer liturgischen Totenmesse uraufgeführt, sofort aber ins Konzertrepertoire übernommen wurde, ist das berühmte Requiem Giuseppe Verdis.“ (4)
Das Requiem im deutschsprachigen Raum
Zeitgleich begannen Komponisten im deutschsprachigen Raum, „Deutsche Requien“ zu vertonen, die zwar für den liturgischen Gebrauch konzipiert waren, aber nicht mehr auf dem Text der lateinischen Totenmesse basierten. Bekanntes Beispiel hierfür ist Franz Schuberts „Deutsches Requiem“ D 861.
Johannes Brahms‘ Vorgehen, eine eigene Sammlung von Bibelzitaten zu einem Ganzen zusammenzustellen und zur Grundlage eines „Requiems“ zu machen, erscheint als folgerichtige Weiterentwicklung, war zu seiner Zeit aber etwas ganz Neues und blieb im 19. Jahrhundert weitgehend ohne Nachahmer (5). Der „Kompositions“-Prozess im eigentlichen Sinn des Wortes begann im Falle des „Deutschen Requiems“ bereits deutlich vor der Entstehung der Musik.
Brahms, der ein exzellenter Bibelkenner war, entnahm seine Texte einer Bibelausgabe von 1537, interpretierte die archaisch klingenden Texte aber im Geiste seiner Zeit: Im Zentrum des Werks steht nicht die plastische Schilderung von Tod, Jüngstem Gericht und Höllenqualen wie im traditionellen katholischen Requiem, das in die flehentliche Bitte um Befreiung, Barmherzigkeit und Erbarmen mündet („Libera me“). Johannes Brahms vertonte die Gewissheit, dass der Tod zu besiegen sei. In Textauswahl und Textbehandlung konnte der Komponist an kirchenmusikalische Vorbilder anknüpfen, die er bereits intensiv studiert hatte. Wie in den Motetten J. S. Bachs oder in Heinrich Schütz‘ „Musikalischen Exequien“ wird der Text abschnittsweise vertont, jeder Absatz erhält eine eigene musikalische Gestalt.
„Zielperson“ von Text und Musik ist nicht länger der Verstorbene, für dessen Seelenheil gebetet wird, sondern der (Über-)Lebende, der getröstet werden soll. Damit entsprach Brahms einer geistigen Strömung seiner Zeit: „Die Einstellung der Menschen zum Tod wandelte sich gerade im 19. Jahrhundert, einer Zeit, in der Gedanken an das Über- Irdische zentral waren, entscheidend: Aus dem anonymen Tod wurde ein persönlicher, der ‚Tod des Anderen‘, eines Menschen, mit dem man eng verbunden war. Der Schmerz, den die physische Trennung vom geschätzten Lebensgefährten bei den Hinterbliebenen her- vorrief und der oft pathetisch nach außen getragen wurde, ging tief, doch wußte man gleichzeitig: Der Andere war erlöst, und im Jenseits würden sich sogar die Liebenden wie- der vereinen können. So wurde der Tod geradezu als ersehnter Moment verherrlicht. Da der Glaube an die Hölle und damit die Angst vor ihr im 19. Jahrhundert weitgehend schwand, konnte man die alte Identitätsbeziehung zwischen Tod, Leid und Sünde vergessen und stattdessen vorbehaltslos fasziniert sein von der Schönheit des Todes.“ (6)
Brahms Requiem - ein Oratorium?
Musikalisch trägt „Ein deutsches Requiem“ deutlich stärker Züge eines Oratoriums als einer Totenmesse. Oratorien waren zu Brahms‘ Zeit äußerst beliebt, der Komponist konnte auf bereits vorhandene Ensembles, bewährte Aufführungsorte und organisatorische Strukturen zurückgreifen. In Orchesterbehandlung und formaler Anlage erinnert Brahms‘ Requiem an etlichen Stellen auch an Psalmvertonungen und Oratorien Felix Mendelssohn Bartholdys.
Im Vergleich zu „echten“ Oratorien fehlt Brahms‘ Requiem allerdings eine (szenisch-)dramatische Komponente, es gibt keine Handlung im engeren Sinne, Rezitative oder Arien sucht (man mit Ausnahme von Satz V) vergebens. Durch Textauswahl und musikalische Gestaltung schuf Brahms aber sehr wohl einen thematisch-dramatischen Spannungsbogen, der von stiller Trauer über dramatische Todes- und Vernichtungsangst hin zu Trost und Zuversicht führt. Handlungsträger auf der Bühne sind zu gleichen Teilen Chor, Orchester und Solisten, sie interagieren intensiv miteinander – Bariton und Chor meist in responsorialen Strukturen, Chor und Orchester antiphonal.
In der Orchesterbehandlung knüpfte Brahms außerdem an die Tradition der Sinfonie an, hier vor allem an Beethoven und dessen Art, musikalisch-logische Bezüge herzustellen – sowohl innerhalb eines Satzes als auch zwischen verschiedenen Einzelsätzen (7). Klassisch-romantische Durchführungsverfahren aus Sinfonie und Sonate, motivische Abspaltung und Sequenzierung sind im „Deutschen Requiem“ mit typischen Gestaltungsmitteln der Vokalmusik kombiniert, allen voran die noch aus der Barockzeit überlieferten rhetorischen Figuren.
Formale Konzeption
Auffallend ist die formale und musikalische Geschlossenheit des „Deutschen Requiems“- trotz seiner langen Entstehungszeit über mehrere Jahre hinweg, in denen sich Brahms kompositorisch deutlich weiter entwickelte. Das Werk ist streng symmetrisch konzipiert. Satz I und VII bilden eine musikalische und inhaltliche „Klammer“: Beide Sätze beginnen mit den Worten „Selig sind…“, der Schlusssatz greift motivisch auf Elemente aus Satz I zurück. Inhaltlich lässt sich eine Zweiteilung ausmachen: In den Sätzen I-III geht es überwiegend um Trauer über die Vergänglichkeit des menschlichen Daseins, Todes- und Vernichtungsangst. In den Sätzen V-VII überwiegen der Gedanke an Trost, die Verwandlung von Trauer und Ausweglosigkeit in Zuversicht und die Gewissheit, dass der Tod zu besiegen sei und hinter ihm ewiges Leben warte. Der vierte Satz, „Wie lieblich sind Deine Wohnungen, Herr Zebaoth!“, bildet einen idyllischen Ruhepunkt in der Mitte der Komposition. Auch bezüglich Dauern der Sätze und Tonarten-Disposition lassen sich symmetrische Strukturen ausmachen: