"Not macht erfinderisch" könnte das Motto lauten, unter dem die wirtschaftliche Entwicklung des Schwarzwaldes stand. Die Schwarzwälder Bauern, Arbeiter und Handwerker nutzten die Rohstoffe, die Wald und Boden zu bieten hatten, für die Herstellung regionaler Produkte. Und sie ließen sich von mitgebrachten Waren inspirieren und machten diese – auf ihre Weise - nach.
Bodenschätze und Landwirtschaft im Schwarzwald
Am Anfang der Besiedlungsgeschichte des Schwarzwaldes steht nicht in erster Linie die landwirtschaftliche Nutzung der Waldgebiete. Es sind vielmehr die Bodenschätze, die die Grundherren – Klöster und Adlige – veranlassen, das Land zu erschließen. Doch als immer mehr Menschen aus den überbevölkerten Ebenen in den Schwarzwald kommen und die Anbautechniken verbessert werden, wird die Landwirtschaft auch auf den Höhenzügen des Schwarzwalds interessant. Und als die Silber-, Kupfer- und Eisenerzvorkommen nur noch geringe Erträge einbringen, sichern die Bauern den Grundherren mit ihren Abgaben Einnahmen.
Erbrecht und die Folgen für Landwirtschaft
Allerdings sind die meisten verpachteten Hofstellen gerade so groß, dass sie zur Selbstversorgung ausreichen. Dort, wo "Realteilung" herrscht, das heißt, wo im Erbfall die gesamte Erbmasse gleichmäßig auf alle Erbberechtigten verteilt wird, werden die Hofstellen immer kleiner. Dort, wo die Höfe als Ganzes an einen Erben gehen, haben dessen Geschwister nur die Möglichkeit, in andere Familien einzuheiraten, als Knechte und Mägde auf dem elterlichen Hof zu bleiben oder sich anderswo zu verdingen. Das Auskommen der Nichterben ist jedenfalls zu gering, als dass sie sich eine eigene Existenz aufbauen könnten.
Ein wichtiger Nebenverdienst sind die in Heimarbeit an den langen Winterabenden hergestellten Gebrauchsgegenstände aus Holz - Schüsseln, Rechen, Löffel, Schindeln, Bürsten -, die sich gewinnbringend verkaufen lassen. Die Glasträger nehmen sie mit und verkaufen sie auf anderen Höfen oder auf den Märkten.
Glasträger werden zu Vermittlern der Industrie
Die Glasträger bringen auch Waren mit in den Schwarzwald, und so werden sie "die eigentlichen Industrievermittler für den Schwarzwald", schreibt der Lenzkircher Uhrenfabrikant und leidenschaftliche Sammler von Schwarzwälder Gebrauchsgegenständen Oskar Spiegelhalder 1908. "Von Böhmen brachten sie die erste Holzuhr und die hinter Glas gemalten Heiligenbilder, aus der Schweiz und Italien Strohgeflechte, aus Bayern Geigen, aus dem Erzgebirge verzinnte Löffel. Diese Muster gaben die Anregung, sie nachzumachen, und daraus entwickelten sich die bäuerlichen Hausindustrien."
Kaum sind die ersten Blechlöffel aus Sachsen im Schwarzwald angekommen, als sich schon Löffelschmiede in Triberg, Schonach und im Höllental ans Werk machen. Bald produzieren sie jedes Jahr Hunderttausende Löffel, die nicht nur im Schwarzwald reißenden Absatz finden: Die Glasträger verkaufen sie auf den überregionalen Märkten, ebenso wie Musikinstrumente und Hinterglasbilder; so zum Beispiel Hinterglasbilder aus Rötenbach, die den Namen des Dorfes und seine Handwerker bald weit über den Schwarzwald hinaus berühmt machen.
Produktion von Hüten im Schwarzwald: Vom Bollenhut zum Panamahut
Bei vielen Schwarzwälder Bauerntrachten lösen Strohhüte bald die alten Kappen aus Filz oder Tuch ab – auch der Bollenhut ist solch ein Strohhut. Importierte Hüte verkaufen sich gut, aber wirklich profitabel wird das Geschäft erst, wenn man die Hüte im Schwarzwald selbst produziert. Um mit den Herstellern in den Ursprungsländern konkurrieren zu können, lassen sich - zum Beispiel im Raum Triberg - Handwerker von Fachleuten aus der Toskana Nachhilfe in Technik und Design des "Florentinerhuts" geben. Um 1780 flechten allein dort rund 1.500 Menschen jährlich über 30.000 Strohhüte. Die Fürstenbergische Regierung verordnet armen Frauen die Flechterei von Amts wegen; die Schramberger "Beschäftigungsanstalt für Arme" zieht Kinder aus der ganzen Umgebung zur Arbeit heran und im württembergischen St. Georgen, wo später modische "Panamahüte" hergestellt werden, bringt der Lehrer den Schulkindern das Flechten bei.
Schwarzwälder Uhren – der Exportschlager
Aber vor allem ein Artikel setzt sich durch: die Schwarzwälder Uhr. Sie macht den Schwarzwald und seine "Tüftler" berühmt. Glasträger bringen einfache Waagbalkenuhren aus Böhmen mit. Darüber, wer der Erste ist, der sie nachbaut, herrscht Uneinigkeit, aber jedenfalls haben die geübten Holzschnitzer, die "Schnefler", ausreichend Fingerfertigkeit, um die importierten Uhren selbst herzustellen. Bald werden die auf den Höfen gebauten Holzräderuhren in alle Welt verkauft. Schon im 18. Jahrhundert sind sie das wichtigste Handelsgut des Schwarzwaldes.
Zunächst fertigen die Uhrmacher die Uhren komplett, doch je größer die Nachfrage wird, desto innovativer werden auch die Uhren und desto umfassender und arbeitsteiliger wird der Herstellungsprozess. Aus den Waagbalkenuhren werden schön gestaltete Schilderuhren; verschiedene mechanische Spielereien kommen hinzu wie bewegliche Figuren oder andere Einzelteile. Es bildeten sich einzelne Berufszweige heraus, wie zum Bwispiel der der Schildermaler. Die anfälligen Holzzahnräder werden durch Metallzahnräder ersetzt, die von Spezialisten hergestellt werden. Die Uhrenfedern werden von "Drahtziehern" gefertigt und Schmiede stellen Eisengewichte her, die die anfänglichen Steingewichte ersetzen.
Die Uhren verkaufen sich so gut, dass bald eigene "Handelscompagnien" entstehen, die die Uhren - nach dem Vorbild der "Glasträgercompagnien" - ins In- und Ausland verkaufen. So sind zum Beispiel Paul Tritscheller und sein Kompagnon Franz Josef Faller aus Lenzkirch als Direktoren der Lenzkircher Strohhut-Handelsgesellschaft erfolgreich. Sie sind längst mehr als einfache Kaufleute: Im Herbst und Winter, wenn die Strohhutsaison zu Ende ist, knüpfen sie auf ihren Geschäftsreisen in ganz Europa und den USA neue Kontakte, studieren technische Innovationen und lassen sich selbstverständlich auch die Weltausstellungen in London und Paris nicht entgehen. Gemeinsam investieren sie in eine der ersten großen Uhrenfabriken des Schwarzwalds.
Industrielle Produktion von Uhren
Hier werden im großen Stil Uhren von Arbeitern gefertigt; die Einzelteile werden von verschiedenen Betrieben zugeliefert, die teilweise – wie die Drahtzieherei im nahegelegenen Falkau - ebenfalls von den Unternehmern gegründet werden. Auch anderswo entstehen Uhrenfabriken - in Schramberg beispielsweise die Firma Junghans. Bei Reisen nach Amerika lernt der Sohn des Gründers die Fließbandfertigung kennen und wendet das Prinzip bald im heimischen Schwarzwald an.
Die Kuckucksuhr – ein Schwarzwälder Markenzeichen
Um 1850 gilt der Schwarzwald trotz seiner fleißigen Tüftler immer noch als "strukturschwaches Gebiet". Die Badische Landesregierung beschließt, die Uhrenindustrie zu stärken und gründet in Furtwangen eine Uhrmacherschule. An ihrer Spitze: der Ingenieur Robert Gerwig, der auch für den Eisenbahnbau im Schwarzwald prägend ist. Gerwig hat eine Idee, die heutzutage als "Branding" bezeichnet werden würde: Er will die Schwarzwalduhren unverwechselbar machen und eine Marke erschaffen, die überall auf der Welt als "Made im Schwarzwald" erkannt wird. Gerwig schreibt unter den Architekten des Landes einen Wettbewerb zur Gestaltung einer Kuckucksuhr aus.
Gewinner ist der Architekt Friedrich Eisenlohr: Er gestaltet das Gehäuse der Uhr nach der Vorlage des - ebenfalls von ihm entworfenen - badischen Bahnwärterhäuschens. Dieses Bahnwärterhäuschen kennt jeder Reisende, der eine badische Eisenbahn benutzt, und kann es nun bald auch als Uhr zu Hause aufhängen.
Die Kuckucksuhr ist bis heute der Exportschlager des Schwarzwalds und eines seiner Markenzeichen. Auch wenn Aussehen und Gestaltung der Uhr immer wieder dem Geschmack der Zeit angepasst werden - Eisenlohr und Gerwig haben sich mit ihrer Idee durchgesetzt.
Der Schwarzwald wird erschlossen - die Höllentalbahn
Für den Vertrieb der Uhren ist eine funktionierende Infrastruktur wichtig, denn mit Uhrenträgern alleine kann man längst nicht mehr wirtschaftlich arbeiten. Die Unternehmer fordern und fördern den Ausbau der Eisenbahn und bald erschließen die Schwarzwaldbahn und die Höllentalbahn die bislang eher mühsam zu erreichenden Standorte der Uhrenindustrie. Damit hat die Fertigung in bäuerlichen Betrieben endgültig ein Ende. Ein nützlicher Nebeneffekt: Mit der Eisenbahn kommen auch die Wanderer und Urlauber besser in den Schwarzwald.
Uhrenproduktion bekommt Konkurrenz aus dem Ausland
Bis zum Ersten Weltkrieg boomt die Schwarzwälder Uhrenindustrie. In den 1920er Jahren aber beginnt der Niedergang: Billiger produzierende Konkurrenz aus den USA macht den Schwarzwälder Unternehmern zu schaffen. Nach dem Zweiten Weltkrieg und mit der Erfindung der Digitaluhr wird es für die bislang erfolgreichen Hersteller von Weckern und Armbanduhren schwierig, Schritt zu halten. Nur wenige Betriebe überleben; so zum Beispiel die Firma Junghans, die heute hochpreisige Qualitätsarmbanduhren in kleiner Stückzahl herstellt.
Doch der Ruf der Schwarzwälder als "Tüftler" hält sich. An vielen Orten gibt es mittelständische Firmen, die seit je her einheimische Arbeitskräfte beschäftigen und sich mit feinmechanischen Erzeugnissen einen Namen gemacht haben. Zum Teil sind es Familienbetriebe, die früher Zulieferer der Uhrenindustrie waren. Nach dem Zweiten Weltkrieg siedeln sich aber auch Firmen an, die ganz bewusst auf die Schwarzwälder Fachkräfte setzen. Und so werden heute aus den Tälern des Schwarzwalds Uhren in die ganze Welt geliefert.