Im Alltagssprachgebrauch werden weibliche Hirsche fälschlicherweise oft als Rehe bezeichnet. Tatsächlich sind Rothirsche und Rehe zwei verschiedene Tierarten, die sich in Aussehen und Lebensweise prägnant unterscheiden. Beide gehören allerdings zur Familie der Hirsche aus der Ordnung der Paarhufer.
Die Familie der Hirsche
Rehe und Hirsche gehören zur Säugetierfamilie der Hirsche oder Geweihträger aus der Ordnung der Paarhufer. Diese Familie umfasst mehr als 80 Arten, von denen in Europa Rot- und Damhirsch, Reh, Elch und Ren die Bekanntesten sind. Männliche Hirsche tragen ein Geweih. Bei den Rentieren auch die Weibchen. Alle Hirsche haben eine gerade Anzahl von Zehen, alle sind pflanzenfressende Wiederkäuer. Sie bevorzugen Blätter, Rinde, Knospen und Zweige, aber auch Früchte und seltener Gräser. Die Nahrungsaufnahme hält die Tiere die meiste Zeit des Tages auf Trab, wobei sie sich immer wieder ausgedehnte Ruhezeiten gönnen, in denen sie die Nahrung wiederkäuen und verdauen. Neben diesen Gemeinsamkeiten gibt es zwischen Rothirschen und Rehen aber auch markante Unterschiede.
Rehe
Das Reh (Capreolus capreolus) ist die in Europa häufigste und kleinste Art aus der Familie der Hirsche. Sein nächster Verwandter ist der Elch; auch mit dem Rentier verbindet das Reh mehr als mit dem Rothirsch. Im Sommer tragen Rehe ein rotbraunes, im Winter ein graubraunes Fell. Am Hinterteil haben sie einen weißen Fleck, Spiegel genannt. Ausgewachsene Tiere wiegen zwischen 17 und 25 Kilogramm. Ihre Körper sind deutlich schmaler und zierlicher als die der Rothirsche. Sie ermöglichen den wendigen Tieren bei drohender Gefahr eine rasche Flucht ins Unterholz.
Das männliche Tier - Rehbock genannt - trägt ein kleines Geweih. Dieses Gehörn wird im Herbst abgeworfen, wächst aber bald darauf wieder nach. Das weibliche Tier heißt Ricke, die Nachkommen bis zu einem Alter von einem Jahr werden als Rehkitze bezeichnet. Frisch geboren tragen sie ein gepunktetes Tarnkleid. Sie werden von den Ricken nur etwas zwei Monate lang gesäugt. Rehe sind – außer in der Paarungszeit und im Winter, wenn sie den Schutz von Artgenossen suchen - scheue Einzelgänger, die sich ihrer Umgebung gut anpassen können. Nachdem sie ursprünglich die Randzonen von Wäldern und Gebüschen bevorzugten, zeigen sie sich inzwischen in allen Wäldern Europas und auch auf offenem Feld. Ihr Geruchs- und Gehörsinn sind hervorragend ausgebildet. Rehe sind farbenblind und können räumlich nicht gut wahrnehmen, registrieren Bewegungen aber sehr genau.
Rothirsche
Mit den umgangssprachlich Hirschen genannten Tieren, sind zumeist Echte Hirsche (Cervinae) gemeint, zu denen in unseren Breiten Rot- und Damwild zählt. Die weiblichen Tiere heißen Hirschkühe. Der Name Rothirsch leitet sich vom
rotbraunen Sommerfell ab; das Winterfell ist dunkelgrau bis braungrau.
Rothirsche waren ursprünglich Steppenbewohner; erst die wachsende Präsenz des Menschen verdrängte sie in die Wälder. Rothirsche sind die größte freilebende heimische Wildart. Bei einer Schulterhöhe von bis zu 150 Zentimetern erreichen männliche Hirsche in Europa bis zu 250 Kilogramm Lebendgewicht, Hirschkühe sind etwas kleiner und wiegen deutlich weniger. Damit sind sie etwa doppelt so groß und deutlich schwerer als Rehe. Ihre Ohren sind kleiner als die der Rehe, ihre Schnauzen länger. Hirschkühe säugen ihre Jungen ein halbes Jahr und länger. Die älteren männlichen Tiere tragen ein ausladendes Geweih, das bis zu 15 Kilogramm schwer werden kann. Zwischen Ende Februar und April werfen sie es ab, bis zum Frühherbst wächst es komplett nach.
Auch im Sozialverhalten gibt es Unterschiede: Im Gegensatz zu Rehen leben Rothirsche in Rudeln, die nach Geschlechtern getrennt sind: Während sich zu den Hirschkühen ihre Kälber gesellen, bleiben die Hirsche unter sich. In der Brunftzeit hat die Harmonie allerdings ein Ende. Dann kämpfen die Hirsche um den Status als Platzhirsch, dem als stärkstes Tier das Recht gebührt, die Hirschkühe zu begatten.
Ist „Bambi“ schuld am Durcheinander?
Nachdem der 1923 veröffentliche Roman "Bambi. Eine Lebensgeschichte aus dem Walde" des österreichischen Autors Felix Salten nicht nur hierzulande, sondern auch in den USA ein Erfolg war, adaptierte Walt Disney das Buch als Vorlage für einen Zeichentrickfilm. Da es in den USA aber keine Rehe gab, machten die Übersetzer und Zeichner aus dem Rehkitz kurzerhand einen jungen Weißwedel-Hirsch. Als die Disney-Verfilmung von "Bambi" in den 1950er-Jahren in die deutschen Kinos kam, wurde „Bambi“ bei der Synchronisierung wieder als Rehkitz bezeichnet, obwohl es als Hirschkalb dargestellt ist. Bambis Vater blieb ein Weißwedel-Hirsch und auch die Comic-Figur Bambi wuchs zu einem solchen heran. Das könnte (mit) dazu geführt haben, dass viele Deutsche Rehe für weibliche Hirsche halten.