Chirurg und künstlerischer Korrespondent
In der Medizingeschichte kennt man ihn als Pionier der Bauchchirurgie, in der Musikgeschichte als engen Freund von Johannes Brahms: Die Rede ist von Theodor Billroth (1829-1894). Brahms und der Chirurg, der ein exzellenter Pianist und Geiger war, lernten sich 1866 in Zürich kennen (1). Ihre Freundschaft intensivierte sich, als Billroth wenig später eine Professur in Wien annahm. Im April 1878 und von März bis Mai 1881 unternahmen die beiden Freunde gemeinsame Reisen nach Italien (2). Für Brahms war Billroth zudem ein „künstlerischer Korrespondent“: Er schickte ihm Manuskripte neuer Kompositionen zu und bat ihn um Durchsicht und Kommentar. Auch bei Probeaufführungen neuer Kammermusikwerke im privaten Kreis wirkte Billroth als Musiker mit. Brahms setzte dem Freund mit der Widmung der Streichquartette op. 51 ein musikalisches Denkmal.
Ein paar kleine Klavierstücke
Die Arbeit am 2. Klavierkonzert hatte Brahms im Mai 1878 begonnen und im Juni 1881 während eines Sommeraufenthalts in Preßbaum (Niederösterreich) abgeschlossen (3). Beide Arbeitsphasen folgten also unmittelbar auf die beiden Italienreisen mit Billroth. Und Billroth war es auch, dem Brahms im Juli 1881 das fertige Manuskript zuschickte – wie Brahms es in solchen Fällen zu tun pflegte, mit einem stark untertreibenden Begleitschreiben:
„Hier schicke ich ein paar kleine Klavierstücke und bitte – daß Du sie niemand anderem zeigst und daß Du sie mir so bald als irgend möglich nach Preßbaum (Westbahn) zurückschickst. Falls sie Dich interessieren und Du Dir aus den gar zu flüchtigen und schlecht gezogenen Strichen überhaupt ein Bild machen kannst, so sagst Du vielleicht ein Wort. Andernfalls müßtest Du Dich denn gedulden, bis in besserer Schrift sie nochmals vorzustellen erlauben wird Dein J.Br.“ (4)
Theodor Billroths Reaktion fiel begeistert aus: „Lieber Freund! Wenn es auch immer ein Festtag für mich ist, an welchem ein Manuskript von Dir in meine Hände gelangt, so hat es mich heute doch noch ganz besonders gefreut. Da haben wir es nun endlich, das so lang erwünschte zweite Klavierkonzert! Welch ein herrliches Stück, wie mühelos schön hinfließend, welch herrlicher Klang, edel und anmutig! so musikalische Musik! eine glückliche befriedigte und befriedigende Stimmung durchströmt das Ganze!
Ich kann natürlich noch nicht allen Reichtum der Details erkennen, doch das Ganze und jeder einzelne Satz steht klar vor mir; zum ersten Konzert verhält es sich wie der Mann zum Jüngling; unverkennbar derselbe, und doch alles gedrungener, reifer. Schon die im Verhältnis zum ersten Klavierkonzert und zum Geigenkonzert einfachere Form des ersten Satzes erleichtert das Verständnis und macht das allerliebste Scherzo möglich. Glänzend und prächtig wirkt gleich die Einleitungskadenz, getragen durch das so schön und klar auftretende Hauptmotiv. (Das ganze Konzert ist, so kommt es mir vor, klaviermäßiger behandelt als der erste.)“ (5)
Auf Anhieb ein Erfolg
Billroths Kommentar spielt an auf Brahms‘ 1. Klavierkonzert d-moll op. 15 von 1859. Dessen erste Aufführungen gerieten für den damals 25-jährigen Komponisten zu einem Desaster. Brahms indes blieb seinem Stil treu. Auch das 2. Klavierkonzert legte er „sinfonisch“ an: Das Stück umfasst vier Sätze statt der üblichen drei, es enthält ein Scherzo und ist mit einer Spieldauer von etwa 50 Minuten eines der längsten Klavierkonzerte des klassischen Kanons. Das 2. Klavierkonzert wurde auf Anhieb ein rauschender Erfolg. Der Uraufführung am 09.11.1881 in Budapest folgte eine Konzerttournee, bei der das Stück auf dem Programm stand. Die Erstaufführung des neuen Werks in seiner Wahlheimat Wien fand am 26.12.1881 statt. Eduard Hanslick, ein enger Freund von Brahms, besprach den Abend in einer enthusiastischen Rezension.
Mehr zu Hanslicks Rezension findet sich in Aufgabe 2 im Reiter "Unterricht".