Geschichte der Krahô
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Zurückgedrängt, beraubt, abgeschlachtet, entmündigt - die Geschichte der Krahô, eine von knapp 200 Indianer-Nationen Brasiliens, ist die aller Indianer Amerikas. Im 18. Jahrhundert lebten die Krahô, die sich "Merrin" (Unsere Leute) nennen, im heutigen Bundesstaat Maranhão. Lange konnte sich der Stamm selbst bestimmen, indem er mal kämpfte, mal zurückwich. Die "Entwicklung" drang in der Form von Viehzüchtern in den Cerrado, dem mit 2,4 Millionen Hektar größten Ökosystem Brasiliens nach dem Amazonas-Wald.
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Mischwald und Steppe auf schwachem Boden charakterisiert den Cerrado Zentralbrasiliens. Östlich vom Tocantinsfluss lebten die Krahô im letzten Jahrhundert noch in Freiheit, ein mächtiger Stamm von Jägern. Geschickt wusste das Volk mit den weißen Siedlern umzugehen, ja es verbündete sich zuweilen mit ihnen im Kampf gegen andere Stämme. Gleichzeitig gelang es den Krahô zu verheimlichen, dass sie auch große Wilderer waren, die sich in den Vieherden holten, was die Natur seit dem Eindringen der Weißen an Jagd nicht mehr bieten konnte. "Falsches Wild" nennen sie bis heute das Rindfleisch.
Doch irgendwann mussten die weißen Siedler merken, was los war. Ihre Reaktion war typisch: Sie überfielen 1940 ein Dorf und massakrierten die Bewohner. Mindestens 70 Menschen kamen um. Ein Missionar machte die Tat publik. Nun wurde die neue Indianerschutzbehörde SPI (Serviço de Proteção Indigena, die später zur Funai wurde, zur Nationalen Indianer-Stiftung) für die Krahô verantwortlich, sie wurde "Vater der Krahô, der sie beschützen würde und dafür sorgen, dass sie alles erhalten würden, was sie benötigen" (so die Überlieferung der Indianer). Doch nun ging es erst recht bergab mit den Krahô. Denn gut gemeinte aber falsche Hilfe kann so schädlich sein wie direkte Feindseligkeit. In der falschen Annahme, Indianer würden "im Kollektiv" wirtschaften, organisierte der SPI den Landbau des Stammes einfach um. Die Krahô bebauen ihr Land aber in Familieneinheiten, in denen der Besitz einer jeden Gruppe allen klar bewusst ist. Doch die SPI führte kollektive Felder ein, und dazu eine neue Kultur, die den Krahô nicht geläufig war. Reis wurde zur Monokultur, und der Hunger wurde allgegenwärtig.
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Die Nähe des Marktfleckens Itacajà, der um eine SPI-Kaserne entstand und zum Handelszentrum der Viezüchter in der Region wurde, trug nicht zum Wohlstand der Indianer bei. Im Gegenteil, die Geldwirtschaft wurde auch für die Indianer Norm, und leichter Zugang zu Alkohol schädigte vor allem die nahebei liegenden Siedlungen. Die Hilfsgelder des SPI gingen durch überhöhte Preise der Händler, die bis heute die Indianer ausbeuten, wieder geschwind an die Kupén, die Weißen, zurück.
Ein erster Schritt zur Besserung der Lage erfolgte 1976, als 3200 Quadratkilometer des Cerrado als Reservat der Krahô ausgemessen wurden. Während ringsum Traktoren den schwachen Humus aufreißen und den Norden des Bundesstaates Tocantins in eine Wüste zu verwandeln drohen, ist das Indianerreservat heute eine wertvolle ökologische Schutzzone, das grösste zusammenhängende Stück Cerrado, das noch existiert in Brasilien.
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