ARD Woche der Musik: Das Brahms-Strauß-Experiment

Unterwegs mit Johannes Brahms | Hintergrund

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Autor/in
Rebecca Nuber (im Auftrag der SWR Musikvermittlung)

Inhalt

Kindheit und Jugend von Johannes Brahms

Johannes Brahms wurde am 7. Mai 1833 in Hamburg geboren. Sein Vater Johann Jakob war Musiker und verdiente sein Geld mit Auftritten als Hornist und Kontrabassist in Hamburger Tanzlokalen. Später war er Kontrabassist beim Städtischen Orchester Hamburg. Seine Mutter Christiane war Näherin. Sie hatte sich als 39-jährige in den 17 Jahre jüngeren Mann verliebt. Die beiden heirateten und bekamen drei Kinder, von denen Johannes das zweite Kind war.

Glücklich war die Ehe der beiden nicht, denn laut einem Brief der Mutter hatte Brahms‘ Vater viele Affären. Zudem gestaltete sich der Alltag als ständiger Überlebenskampf. Die Familie wohnte im Hamburger Gängeviertel, einer verrufenen, dunklen Gegend, geprägt von Armut, beengten Verhältnissen, beschwerlicher Arbeit, Krankheit und Kriminalität. Von klein auf hatte Brahms den Wunsch, dieser Enge eines Tages zu entfliehen.

Musikalische Ausbildung und erste Auftritte

Schon früh zeigte sich, dass der junge Brahms einmal in die Fußstapfen seines Vaters als Musiker treten würde. Die Mutter hatte stets ein Ohr für die Sorgen und Nöte ihres zartbesaiteten Sohnes Johannes. Sie war geduldig und liebevoll, rezitierte Gedichte und brachte ihm den christlichen Glauben nahe. Mit sieben Jahren bekam Johannes den ersten Klavierunterricht bei Otto F. W. Cossel, wo er schnelle Fortschritte machte und erste Stücke komponierte.

Nach wenigen Jahren folgten die ersten öffentlichen Auftritte als Pianist, die sein Vater für ihn organisierte. Brahms galt von nun an als Wunderkind. Den Vorschlag eines Geschäftsmanns, den 10-jährigen Brahms mit auf Tournee nach Amerika zu nehmen, schlugen die Eltern aus. Zur selben Zeit ergab sich die Gelegenheit, beim hervorragenden Klavierlehrer Eduard Marxsen Unterricht zu nehmen. Bei ihm konnte der junge Brahms sein Können weiter perfektionieren. Daneben lernte Brahms das Cellospiel, begeisterte sich fürs Lesen und die Natur.

Berühmte Bekanntschaften

Mit 19 Jahren beschloss er, mit dem Geiger Eduard Reményi auf Tournee zu gehen. Dabei machte er in Hannover die Bekanntschaft mit dem weltberühmten Geiger Joseph Joachim. Von nun an verband die beiden eine lebenslange Freundschaft. Joachim machte Brahms auch mit dem berühmten Franz Liszt bekannt, den er in Weimar besuchte. Doch der „musikalische Funke“ sprang nicht über, denn die ästhetischen Positionen (Programmmusik vs. absolute Musik) schienen unvereinbar.

Auf Empfehlung Joseph Joachims landete Brahms schließlich bei Robert Schumann und dessen Frau, der Pianistin und Komponistin Clara Schumann. Beide erkannten Brahms‘ großes Genie und die drei fühlten sich sehr verbunden. 1853 erschien Robert Schumanns berühmter Aufsatz „Neue Bahnen“, in dem er enthusiastische Worte für Brahms fand und den jungen Komponisten und Pianisten weiter bekannt machte. Nachdem es Brahms gelang, einige seiner Werke gegen ein beachtliches Honorar zu veröffentlichen, kehrte er endlich zurück nach Hause und konnte stolz von seinen Erfolgen berichten.

Brahms' Freundschaft zu Robert und Clara Schumann

Das Jahr 1854 wurde von Schumanns Selbstmordversuch überschattet, der im Februar in den Rhein sprang und gerettet werden konnte. Daraufhin wurde er in eine Nervenheilanstalt eingewiesen, wo ihn Brahms in den folgenden Jahren mehrmals besuchte. Clara durfte ihren Mann auf Anraten der Ärzte erst kurz vor seinem Tod besuchen. Im Juli 1856 starb Schumann.

Die Beziehung zwischen Brahms und Clara Schumann intensivierte sich in den Jahren ab 1854. Brahms zog zeitweise bei Clara ein und kümmerte sich um die 6 Kinder, während Clara auf Konzertreisen war. Es entstand ein intensiver Briefwechsel, worin sich die beiden ihrer Liebe versicherten. Ein Teil der Briefe, der die romantisch-tragische Beziehung zwischen den beiden dokumentiert, ist noch erhalten. Ein großer Teil der Liebesbriefe wurde von den beiden jedoch später vernichtet.

Anstellung am Fürstenhof in Detmold

Seine erste feste Anstellung erhielt Brahms im Jahr 1857 in Detmold am Fürstentum Lippe. Zwei Jahre lang unterrichtete er die Tochter des Fürsten im Klavierspiel, leitete den Hofchor und wirkte bei Konzerten am Hof mit. Dort hatte er wieder mehr Zeit zum Komponieren. Im Sommer 1858 lernte Brahms in Göttingen die Professorentochter Agathe von Siebold kennen und die beiden verliebten sich ineinander. Doch das Glück hielt nicht lange, denn Brahms konnte sich nicht dazu durchringen, sich fest zu binden und Agathe zu heiraten.

Brahms‘ erstes Klavierkonzert op. 15 in d-Moll wurde im Januar 1859 in Hannover aufgeführt, mit Brahms selbst am Flügel. Einige Tage später wurde das Konzert in Leipzig wiederholt. Die Reaktionen der Musikkritiker waren fast durchweg negativ und für Brahms sehr enttäuschend.

Zurück nach Hamburg

In Hamburg wurde sein Klavierkonzert zum Erfolg und auch mit weiteren Werken (Serenaden op. 11 und op. 16) war Brahms in seiner Heimatstadt erfolgreich. Dort gründete er auch einen Frauenchor, für den zahlreiche Lieder und Chorbearbeitungen entstanden.

Im Chor sang die damals 17-jährige Pastorentochter Berta Porubszky aus Wien mit. Zwischen den beiden entwickelte sich ein freundschaftliches Verhältnis und Brahms widmete ihr einige Jahre später zur Geburt ihres zweiten Kindes das Wiegenlied „Guten Abend, gut‘ Nacht“ op. 49/4.

In Hamburg lernte Brahms 1860 den Verleger Fritz Simrock kennen, der seinen Werken von nun an zu weiterer Bekanntheit verhalf. Nachdem Brahms bei der Vergabe von Schlüsselstellen im Hamburger Musikleben nicht berücksichtigt wurde, kehrte er Hamburg den Rücken zu und zog nach Wien um. Dort wurde er für seine Klavierkünste gefeiert. Sein Klavierquartett op. 1 in g-Moll wurde zum Erfolg.

Unterwegs in Wien und Baden-Baden

Bald wurde Brahms Leiter der Wiener Singakademie, doch er empfand den Posten nach kurzer Zeit als Belastung und Unfreiheit. So gab er die Stellen wieder ab. Im Februar 1865 starb Brahms‘ geliebte Mutter. Es entstand das Horntrio op. 40, vielleicht eine Art Klagelied um den Verlust der Mutter, der er früher oft auf dem Horn vorgespielt hatte.

Im Sommer 1865 reiste Brahms zum ersten Mal nach Baden-Baden, wo Clara Schumann ein Ferienhaus gekauft hatte. Er wohnte im Dachgeschoss*, genoss die Gespräche mit Clara und die Spaziergänge in der Stadt, wo auch Künstler wie Johann Strauß, Anselm Feuerbach und Dostojewski weilten.

*Brahms‘ Zimmer, der „Blaue Salon“ ist auch heute noch zu besichtigen. Alle zwei Jahre finden dort die Brahmstage statt. Sehenswert ist auch die Produktion von SWR Kultur „Brahms: Cellosonate e-Moll“ mit Sol Gabetta und Kristian Bezuidenhout im Brahmshaus Baden-Baden, verfügbar in der ARD Mediathek.

Brahms' berühmtestes Werk: Das deutsche Requiem

Zwischen 1865 und 1868 komponierte Brahms sein wohl berühmtestes Werk, „Ein deutsches Requiem“ op. 45. Es basiert nicht auf Messtexten, sondern auf ausgewählten Texten des Alten und Neuen Testaments der Lutherbibel, in denen es um das Thema „Trost“ geht. Die Uraufführung im Bremer Dom am 10. April 1868 war sehr ergreifend. Clara Schumann schrieb in ihr Tagebuch:

„Mich hat dieses Requiem ergriffen wie noch nie eine Kirchenmusik (…) Ich musste immer, wie ich Johannes so da stehen sah mit dem Stab in der Hand, an meines teuren Roberts Prophezeiung denken (…) welche sich heute erfüllte. (…) Das war eine Wonne für mich, so beglückt fühlte ich mich lange nicht.“

Skandal um die Ungarischen Tänze

Zu jener Zeit komponierte Brahms auch die „Ungarischen Tänze“, mit denen ihm der weltweite Durchbruch gelang. Sie wurden ursprünglich für Klavier zu 4 Händen komponiert. Die „Ungarischen Tänze“ wurden gleichermaßen zum Skandal, denn nicht wenige Komponisten warfen Brahms vor, abgeschrieben zu haben. Darunter war sein ehemaliger Kollege, der Geiger Reményi, von dem Brahms tatsächlich viele der Melodien kannte. Doch die ungarischen Tänze und Volksweisen, damals sogenannte „Zigeunermusik“, waren Gemeingut und Brahms ließ sich von den Plagiatsvorwürfen nicht beeindrucken.

Während seiner Zeit in Baden-Baden hatte Brahms ein Auge auf die 24-jährige Julie, Tochter der Schumanns, geworfen. Doch auch aus dieser Liebe, die Brahms seiner Angebeteten nie gestand, wurde nichts: Julie heiratete bald einen Grafen aus der Nähe von Turin und zog mit ihm auf dessen Schloss.

Im Jahr 1871 ließ sich Brahms in einer Wohnung im Wiener Stadtzentrum nieder, wo er für den Rest seines Lebens wohnen sollte. Von dort aus unternahm er Konzertreisen. Von 1872 bis 1875 war er künstlerischer Leiter der „Gesellschaft der Musikfreunde“ Wien. Im Jahr 1872 starb Brahms‘ Vater, der zwischenzeitlich wieder geheiratet hatte, an Leberkrebs.

Die Entstehung der vier Sinfonien

Nachdem Beethoven die Gattung der Sinfonie perfektioniert hatte, schien es schwierig bis undenkbar, daran anzuknüpfen. Auch Brahms wagte sich lange Zeit nicht an die Komposition einer Sinfonie heran. Es entstanden Fragmente, Versuche und einzelne Sätze. Erst im Jahr 1876 gelang es Brahms, mit seiner 1. Sinfonie in c-Moll op. 68, an das Vergangene anzuschließen und gleichzeitig in der Verwirklichung seines charakteristischen Stils eigene Wege zu gehen.

Die Sinfonie wurde am 4. November 1876 in Karlsruhe uraufgeführt. Das Werk wurde von Publikum und Kritikern überwiegend enthusiastisch aufgenommen und brachte Brahms hohe Einnahmen. Trotz seines Reichtums, den er sich in seiner zweiten Lebenshälfte erarbeitet hatte, war Brahms relativ bescheiden und gab nicht viel Geld aus. Wenn Freunde oder Familie seine Hilfe benötigten, unterstützte er sie gerne. Darüber hinaus förderte er auch andere Dirigenten und Komponisten, zum Beispiel Antonín Dvořák.

Die zweite Sinfonie begann Brahms im Sommer 1877 während eines Aufenthalts am Wörthersee, inspiriert durch die idyllische Natur. Im September reiste er nach Baden-Baden zu Clara, um ihr daraus vorzuspielen. Clara war begeistert und bereits am 30. Dezember desselben Jahres wurde die 2. Sinfonie D-Dur op. 73 in Wien erfolgreich uraufgeführt.

Im Jahr 1883 lernte Brahms die Altistin Hermine Spies kennen. Die beiden standen einander sehr nahe und Brahms widmete ihr einige Kompositionen. Doch auch diese Liaison scheiterte, denn sie heiratete später und starb mit nur 36 Jahren.

Die dritte Sinfonie in F-Dur op. 90 komponierte Brahms im Rheingau. Schon einige Jahre zuvor hatte er die Winzerfamilie von Beckerath kennengelernt. Vier Monate lang verbrachte er auf Einladung bei der Familie. Sie musizierten gemeinsam, führten interessante Gespräche bei gutem Wein und Brahms hatte viel Muße zum Komponieren.

Die vierte, neuartigste und zugleich letzte Sinfonie komponierte Brahms in den Sommern 1885 und 1885 in Mürzzuschlag in der Steiermark. Sie wurde am 25. Oktober 1885 am Meininger Theater uraufgeführt. Es gab neun weitere Aufführungen im Rheinland und in Holland, dirigiert von Brahms selbst sowie von Hans von Bülow. Für die damaligen Zuhörer war die Sinfonie in ihrer spannungsvollen Ambivalenz zunächst sperrig und unverständlich. An Hans von Bülow schrieb Brahms über die Sinfonie, sie schmecke "nach dem hiesigen Klima - die Kirschen hier werden nicht süß". Heute ist die 4. Sinfonie mit ihren kunstvoll verwobenen Themen und Motiven und ihrem Variationen-Finale eine der meistgespielten.

Ein geregeltes Leben in Wien

Mit Anfang 50 schrieb Brahms also seine letzte Sinfonie. In den Folgejahren komponierte er vor allem Kammermusik und erhielt für sein Werk zahlreiche Auszeichnungen. Brahms trug mittlerweile einen grauen Bart und hatte ein stattliches Aussehen. Einen Einblick in den Tagesablauf des Komponisten gibt der Brahms-Biograph Hans-Georg Klemm:

„In aller Frühe, will heißen gegen fünf Uhr, steht er auf, braut sich den ersten Schwarzen (mittels seiner geliebten Kaffeemaschine, die sogar mit auf Reisen geht), dreht und raucht ein erstes Zigarettchen, setzt sich an den Tisch, um den Vorrat für den Tag zu fertigen. Nach dem Frühstück wird bis zum Mittag gearbeitet (Ob er viel nachdenke, bevor er komponiere, will übrigens etwa zu dieser Zeit eine Dame von ihm wissen, worauf Brahms zurückfragt, ob sie denn viel nachdenke, bevor sie spreche…). In seinem Stammlokal „Zum roten Igel“ am Wildpretmarkt lässt er sich darauf „garnirtes Rindfleisch“ oder „Paprikahendl“ servieren („Jede Essenszeit ist für mich täglich ein Fest.“), um nach einem Spaziergang im Stadtpark Kaffee und Zigarre zu genießen, Zeitung zu lesen, wohl auch ein Nickerchen zu halten. Was ist Zeit? Was ist Hektik? Abends, wenn auch nicht täglich, Stammtisch – im „Igel“ (wo stets ein eigener Tisch für ihn bereit steht) oder in der „Gauseschen Pilsener-Bierhalle.“ Denn dem Hopfensaft spricht er am liebsten auswärts zu, daheim lagern „nur“ Weine, Sekte, Hochprozentiges. Doch das nicht zu knapp. Alles geht seinen geordneten Gang, alles kann bleiben wie es ist. Brahms ist zufrieden.“

Aus dem Jahr 1889 stammt eine bemerkenswerte Tonaufnahme, auf der Brahms beim Klavierspiel zu hören ist. Die Phonographenwalze war damals eine neue Erfindung, die auf Thomas Edison zurückging. Das historische Tondokument, auf dem zu Anfang auch Brahms‘ Stimme deutlich hörbar ist, ist auf Youtube zu finden.

Die letzten Jahre von Johannes Brahms

Mit 58 Jahren schrieb Brahms einen Brief an seinen Verleger Fritz Simrock, dem sein letzter Wille zu entnehmen ist. Als endgültig letztes Werk betrachtete er sein zweites Streichquintett G-Dur op. 111, doch schließlich begegnete er dem herausragenden Klarinettenvirtuosen Richard Mühlfeld und komponierte für ihn vier Klarinettenwerke, darunter das beliebte Klarinettenquintett in h-Moll op. 115. Bis 1894 entstanden außerdem noch einige Klavierwerke. Brahms erklärte sein Schaffen daraufhin erneut für beendet.

Clara war mittlerweile 75 Jahre alt und sehr krank, als Brahms sie noch einmal besuchte. Im Jahr 1896 starb Clara, seine große Liebe. Vielleicht war es der Tod Claras, der Brahms dazu veranlasste, während seines letzten Aufenthaltes im Sommer 1896 in Bad Ischl doch noch die „Elf Choralvorspiele“ für Orgel zu schreiben. Clara liebte die Orgel. Ein großer Teil der zugrundeliegenden Kirchenlieder beschäftigt sich mit dem Tod und der Ewigkeit.

Am Ende seines Lebens litt Brahms an einem Pankreaskarzinom. Seine Haut und die Augen bekamen eine gelbliche-graue Färbung. Er magerte ab und sein Zustand verschlechterte sich zunehmend. Bald konnte er nicht mehr richtig sprechen, laufen oder lesen. Am 3. April 1897 starb Brahms am Morgen im Beisein seines Arztes und seiner Vemieterin und Haushälterin Frau Truxa. Sie hatte ihn in seinen letzten Jahren betreut. Brahms wurde am 6. April 1897 auf dem Wiener Zentralfriedhof beigesetzt und fand seine letzte Ruhe in einem Ehrengrab, in der Nähe Beethovens und Schuberts.

Johannes Brahms: Klavierkonzert Nr. 2 | Film

Konzertaufnahme des Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und Unterrichtsmaterial zum Klavierkonzert Nr. 2, dem Lied „Immer leiser wird mein Schlummer“ und absoluter Musik.

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