Ganz in Weiß: Das Studio bei den Dreharbeiten zu „Das Tier in Dir“
David Schmitz
Es dauerte mehrere Milliarden Jahre, bis nach der Entstehung des ersten Lebens auf der Erde die hoch entwickelte Spezies Mensch die Erde besiedelte. Doch wie entstand der menschliche Körper und wie viel haben wir noch mit unseren tierischen Vorfahren gemeinsam?
Die dreiteilige Dokumentation „Das Tier in Dir“ will den neuesten Forschungsstand zur Evolution des Menschen so anschaulich wie möglich präsentieren – eine Aufgabe, die nicht nur jede Menge biologisches, medizinisches und paläontologisches Fachwissen verlangte, sondern auch das SWR-Filmteam vor eine echte Herausforderung stellte.
Entstanden sind die Filme in einem Studio mit futuristischem Look. Reale Aufnahmen wurden kombiniert mit dreidimensionalen Computer-Animationen, es gab Experimente vor und hinter der Kamera und natürlich durften unsere tierischen Verwandten nicht fehlen.
Für die ganze Crew war es ein besonderes Highlight, die Tiere im Studio beobachten zu können. Dass uns mit Affen vieles verbindet, leuchtet schnell ein und ist auch relativ einfach zu veranschaulichen. Doch was teilen wir mit Reptilien, Fischen oder Regenwürmern? Die Entwicklungsgeschichte von Muskeln, Wirbelsäule, Augenhornhaut oder Fingernägeln kann man kaum durch oberflächliches Betrachten einer Tierart nachvollziehen. Dazu musste die Filmcrew den tierischen Protagonisten dann doch „unter die Haut“ gehen...
Dank CT-Scans und Spezialsoftware wird das Innenleben der Tiere sichtbar
SWR - Screenshot aus der Sendung
Mit Röntgenbildern innere Strukturen sichtbar zu machen, ist zwar grundsätzlich nichts Neues, aber moderne Micro-CT-Scanner eröffnen ungeahnte Möglichkeiten. Im Institut für Radiologie der Universität Tübingen wurden Leguan, Salamander, Spitzhörnchen und Co. durchleuchtet. Diese Prozedur brauchten natürlich nicht die lebendigen Studiogäste über sich ergehen zu lassen. Stattdessen wurden präparierte Exemplare aus zoologischen Schausammlungen verwendet. Das Besondere: Der Scanner liefert extrem hochauflösende Schnittbilder des Körpers in drei Dimensionen!
Jetzt begann die Arbeit für ein Team von Grafikspezialisten. Wir betraten fernsehtechnisches Neuland, denn wir wollten uns nicht mit idealisierten Modellen des Innenlebens von Mensch und Tier zufrieden geben. Stattdessen sollte, mit Hilfe der Röntgenbilder, die reale Anatomie exakt wiedergegeben und möglichst mit der „äußeren Hülle“ der Tiere kombiniert werden. Mit einer Spezialsoftware und besonders leistungsfähigen Computern wurden die CT-Scans zu dreidimensionalen Grafiken verarbeitet. Das ermöglichte es, die Skelette der Tiere bis ins kleinste Detail plastisch abzubilden, in jegliche Richtung zu drehen und diese Bilder in die Aufnahmen lebender Tiere regelrecht hineinzubauen.
Dank dieser anatomisch exakten Aufnahmen lassen sich im direkten Vergleich die vielen Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Tier illustrieren. Beispielsweise was wir mit einem Leguan teilen: Aus der Zeit der ersten Reptilien stammen die Hornzellen, die unsere Fingernägel bilden. Frühen Säugetieren, wie dem Tupaia, verdanken wir unsere Behaarung.
Highspeed-Kamera
SWR - Screenshot aus der Sendung
Manches ist im Körperinnern verborgen, anderes entgeht uns, weil es zu schnell für unsere Augen abläuft. Sprünge von Fröschen zählen dazu. Wir wollten zum Thema Skelett und Muskulatur die genaue Sprungtechnik eines Ochsenfroschs analysieren. Normale Video- und Fernsehkameras nehmen 25 Bilder pro Sekunde auf – bei Weitem nicht ausreichend für eine flüssige, naturgetreue Zeitlupe. Eine Spezialkamera musste her! Von außen ist eine Highspeed-Kamera ein unauffälliger, rechteckiger Klotz, aber die Technik hat es in sich. Mit 2000 Bildern pro Sekunde wurde der Froschsprung abgelichtet. So entstanden Zeitlupenaufnahmen, die in 80-facher Verlangsamung aus einem schnellen Hüpfer einen grandiosen Sprung machen.
Auch beim Knochentest kam die Highspeed-Kamera zum Einsatz: Ein Schlagtest sollte zeigen, wie wichtig Kollagen – ein Stoff der auch Quallen ihre Struktur verleiht – für die Elastizität unserer Knochen ist. Während der normale Knochen mit Kollagen den Härtetest problemlos bestand, endete der zweite Versuch mit einem Knochen ohne Kollagen in einem Splitterregen aus Knochenstücken. Erst die Zeitlupe offenbart das wahre Ausmaß eines solchen Trümmerbruchs. Dass die Akteure bei diesem Versuch Schutzbrillen trugen, zahlte sich aus. Oliver Sandrock erinnert sich so an diese Szene: „Und dann habe ich geschlagen und der Knochen zerflog in alle Einzelteile und dann fetzte ein ziemlich großes Stück Knochen ins Studio rein und dann dachte ich: Ohweiohwei – wen trifft das jetzt?“ Getroffen hat der Knochensplitter zum Glück nur die Studio-Dekoration und der Schaden war schnell behoben.
Eine Zeitreise in die Erdgeschichte erfordert jede Menge filmische Tricks – und bei den Experten viel Fantasie. Anstelle prähistorischer Tiere sahen sie nur blaue Wände, die später in der Grafik durch eine prähistorische Landschaft samt deren Bewohnern ersetzt wurden. Paläontologe Oliver Sandrock und Biologe Axel Wagner „reisten“ durch ganze Erdzeitalter bis zurück ins Urmeer, vorbei an Dinosauriern, Reptilien und längst ausgestorbenen Fischen. Doch der „Fahrstuhl“ im Film, war eben „nur“ ein blaues Podest. Die beiden Wissenschaftler sahen die ganze Zeit über nur Blau und mussten dennoch auf imaginäre Kreaturen so reagieren, wie es das Drehbuch vorsah.
Die gleiche Technik kam auch im Studio zum Einsatz: In dem in Weiß gehaltenen „Labor“ befanden sich mehrere grüne Flächen, die in der Nachbearbeitung z.B. in einen Globus, oder einen Embryo verwandelt wurden. Auch hier agierten unsere Protagonisten quasi „blind“ mit den grünen Pappschildern. Aart Gisolf nahm es gelassen: „Also wenn ich so etwas erkläre, was ich nicht sehe, dann sehe ich es trotzdem. Dann stelle ich es mir vor und erkläre das, was ich mir vorstelle. Und dann denke ich auch, dann sollen das die Techniker mal hinkriegen was ich hier sage, denn ich stelle es mir vor und so wird es jetzt gesagt.“ Und dementsprechend werden die Bilder dann von den 3DGrafikern auch angepasst.
Bestimmte Farben in den Bildern eines Films können mit Hilfe der Schnittsoftware gelöscht werden. Im nächsten Schritt kann man diese nun leeren Stellen durch ein anderes Bild passgenau ersetzen. Was man anstelle der grünen oder blauen Fläche zeigt, kann eine reale Filmsequenz sein oder z.B. das computeranimierte Urmeer. Je nach verwendeter Farbe, die man löschen will, spricht man von der Blue- oder Green-Screen-Technik. Hätten unsere Akteure vor der blauen Wand blaue statt weiße Overalls getragen, wären ihre Körper im fertigen Film „verschwunden“ – nur ihre Hände und Köpfe wären dann auf „Zeitreise“ gegangen.