Die Weltbilder der Kreationisten
Es geht um Gott und die Welt. Gab es einen Urknall, und ist die Evolution verlaufen wie von Charles Darwin beschrieben? Oder hat ein höheres Wesen Kosmos, Erde, Menschen, Tiere und Pflanzen erschaffen? Letzteres entspricht dem kreationistischen Weltbild, wonach alle natürlichen Phänomene ihre Existenz dem planvollen Handeln eines Schöpfers verdanken. Diese Vorstellung einer Schöpfung, einer Kreation (daher die Bezeichnung "Kreationismus") gründet meist auf religiösen Mythen wie der biblischen Schöpfungsgeschichte und ist vor allem unter evangelikalen Christen verbreitet, aber auch im Judentum und Islam, und variiert je nach religiöser Überzeugung.
So glauben etwa Junge-Erde-Kreationisten, die Erde sei weniger als 10 000 Jahre alt und einschließlich aller Lebewesen in sechs Tagen erschaffen worden, wie es in der Bibel steht. Demnach habe Gott die Lebewesen entweder so kreiert, wie sie heute sind, oder als Grundtypen, aus denen die heutigen Arten in wenigen tausend Jahren hervorgingen. Alte-Erde-Kreationisten nehmen die Heilige Schrift dagegen weniger wörtlich. Sie glauben zwar auch an einen einzigen göttlichen Schöpfungsakt, nur dauerte dieser mehrere Milliarden Jahre. Einige Kreationisten meinen auch, Gott nutze die Evolution als Werkzeug, um Lebensformen zu verändern. Er greife also gezielt ein, statt den Lauf der Dinge natürlicher Auslese zu überlassen.
So unterschiedlich die Formen des Kreationismus auch sind – in einem Punkt stimmen alle überein: Die Abstammungslehre Darwins, wonach sich Pflanzen und Tiere in Milliarden von Jahren mittels ungeplanter Mutation und Anpassung an unterschiedliche Lebensbedingungen entwickelt haben, sei falsch. Ihre Behauptung stützen sie mit vermeintlichen Fakten, die nach Meinung von Evolutionsbiologen aber naturwissenschaftlichen Standards nicht genügen. Die Zusammenhänge und Argumente sind komplex und für Nicht-Biologen nur schwer durchschaubar.
Gottesbeweis in wissenschaftlichem Tarnkleid
Das gilt besonders für das so genannte "Intelligent Design", eine Variante des Kreationismus mit wissenschaftlichem Beigeschmack. Danach sei das Leben zu vielfältig, als dass es ungeplant aus natürlichen Prozessen hätte hervorgehen können. Als Urheber wird deshalb die Existenz eines intelligenten Designers vorausgesetzt – eine Argumentation, die der eines Jahrhunderte alten Gottesbeweises entspricht, dessen klassische Form vereinfacht so lautet: So ist ein "Naturprodukt", etwa das menschliche Auge, in seinem Aufbau mindestens ebenso vielschichtig und optimal an die jeweilige Funktion angepasst wie ein künstlich geschaffenes Objekt, zum Beispiel ein Fernglas; letzteres wurde von einem menschlichen "Designer" geschaffen; was sich ähnelt, hat eine ähnliche Ursache; also wurde das Auge von einer Art göttlichem Ingenieur kreiert.
Die Geschichte hat diese Art logischen Schließens oft kritisiert, da es auf einer schwachen Analogie gründet. Umstritten ist auch die "göttliche Perfektion" der Natur, die hier vorausgesetzt wird. Schließlich gibt es auch schlecht angepasste Lebewesen. Wer dem Argument für einen intelligenten Designer dennoch folgt, muss nicht zwangsläufig bei Gott enden: Neben dem Einen und Guten, Allmächtigen und Allwissenden, lässt es Raum für jede Menge Schöpfer.
Allen Einwänden zum Trotz fruchtet die Idee des Intelligent Design nicht nur in den USA, wo sie ihren Ursprung hat, sondern auch in Deutschland. Die Intelligent Design-Anhänger suchen nach Lücken in Darwins Theorie. Auch Biologen und andere Forscher, die ihr Handwerk an Universitäten gelernt haben, finden sich unter den Befürwortern. Sie arbeiten mit Wahrscheinlichkeiten, verweisen auf wissenschaftliche Methoden und bieten sogar mathematische Formeln an, mit denen nach einem Design entstandene Objekte von zufällig entstandenen unterschieden werden sollen. Nach Darwin sind Mutation und Auslese nicht geplant, sondern unterliegen allein den ökologischen Bedingungen, unter denen eine bestimmte Art existiert. Die Anstrengungen der Designer kreisen daher stets um das gleiche Bekenntnis: Bestimmte Eigenschaften der Natur lassen sich besser damit erklären, dass sie eine intelligente Ursache haben, als dass sie aus einem natürlichen Prozess hervorgegangen wären.
Beim Intelligent Design ist von Gott nicht mehr die Rede. Viele Befürworter bekennen sich aber zum Kreationismus, der in den USA zudem vor allem aus juristischen Gründen in Intelligent Design umbenannt und mit akademischem Vokabular ausgestattet wurde, nachdem US-Gerichte mehrfach religiöse Lehren an staatlichen Schulen untersagt hatten. So mutet Intelligent Design als Versuch an, die Schöpfungslehre in Hörsaal und Biologieunterricht zu schmuggeln. Evolutionsbiologen empören sich darüber, und auch die Öffentlichkeit reagiert größtenteils einhellig: Kreationismus gehört nicht in den Wissenschaftsbetrieb, und die Trennung von Biologie und Religion darf nicht gefährdet werden. Trotzdem wächst die Gemeinde der Schöpfungsgläubigen, auch in Deutschland.
Sehnsucht nach Zweck und Ziel
Denn seine vermeintliche Einfachheit und Erfahrbarkeit macht den Kreationismus verführerisch: Wer will, geht durch die Welt und findet in jeder Pflanze, in jedem Tier Hinweise auf einen scheinbar intelligenten Konstrukteur; und weil vieles in der Natur weitaus komplexer ist als von Menschen konstruierte Dinge, etwa eine Uhr, sollte dieser Konstrukteur bitte schön auch viel genialer als der sterbliche Uhrmacher, eben göttlich sein. Wer sich nach einem Gott sehnt, der menschlichem Dasein von vornherein Sinn gibt und auf ewiges Leben hoffen lässt, folgt diesem Gedankengang gern und schert sich nicht um Logik oder darum, ob Kreationismus den Ansprüchen moderner Naturwissenschaft genügt.
Problematisch ist auch die grundsätzliche Methode kreationistischer Forschung, welche die Existenz einer höheren, intelligenten Wesenheit voraussetzt, sobald sie mit dem momentanen Stand der Erkenntnis nicht weiterkommt. Wenn Biologen nicht erklären können, wie eine bestimmte komplexe Struktur auf natürliche Weise entstehen konnte, forschen sie in der Regel weiter – stoßen Kreationisten oder Intelligent Design-Anhänger auf einen solchen ungeklärten Punkt, sehen sie darin das Wirken eines allmächtigen Schöpfers und der Fall ist für sie erledigt.
Unterschwellig klingen in der Debatte um die Entwicklung des Lebens auch Fragen mit, die mit der vermeintlichen Pseudowissenschaftlichkeit der Kreationisten nicht beantwortet sind. Die Frage zum Beispiel, warum eine wissenschaftliche Theorie keine höhere Intelligenz einschließen kann, die außerhalb möglicher Beobachtung liegt – in der Geschichte gab es immer wieder Theorien, die zunächst nicht überprüfbar schienen und später doch empirisch belegt wurden, etwa die Vorstellung von Atomen bei den alten Griechen. Oder die Frage, ob der wissenschaftliche Naturalismus, die auf Überprüfbares beschränkte Methode naturwissenschaftlicher Arbeit, nicht bezweifelt werden kann. Diese Fragen bleiben, egal wie oft Kreationismus aus dem Wissenschaftsbetrieb verbannt wird. Denn die Entwicklung des Lebens berührt neben Naturwissenschaften und Religion noch andere Bereiche, wie Philosophie. Selbst die hat aber Grenzen, und Modelle unterschiedlicher Bereiche konkurrieren nicht miteinander, sie ergänzen sich. Dennoch wurde auch in Deutschland schon darüber diskutiert, ob die Schöpfungslehre als Alternative zur Evolutionstheorie im Biologieunterricht gelehrt werden darf. Allein mit dieser Frage ist die Grenze zwischen Religion und Naturwissenschaft schon überschritten und der Beliebigkeit Tür und Tor geöffnet.