Die Juden im Mittelalter

Verfolgung und Vertreibung | Unterricht

Stand
Autor/in
Thomas Schmid
Thomas Schmid ist Lehrer in Heidelberg und am Seminar in Mannheim und Autor für planet schule

Unterrichtsablauf (Geschichte, Ethik, Katholische/Evangelische Religion ab Klasse 9)

Auch für diese Unterrichtsstunde bietet es sich an, eine Doppelstunde anzusetzen.

Anfangs liest der Lehrer ohne weitere Einleitung oder Aufgabenstellung die Erzählung "Das Judenauto" vor. Dafür wird eine gute Viertelstunde benötigt. Gegebenenfalls kann der Text leicht gekürzt werden. Um die emotionale Heranführung an dieses Thema zu unterstreichen, sollte die Klasse im Stuhlkreis sitzen. Dadurch wird auch der Zugang zum späteren Plenumsgespräch erleichtert.

Inhaltsangabe der Erzählung "Das Judenauto"

Im Sommer 1931 wartet die dritte Klasse einer Volksschule auf den Beginn des Unterrichts. Da kommt Gudrun in die Klasse und erzählt Schauerliches über ein gelbes "Judenauto". In diesem säßen vier schwarzhaarige Juden mit langen blutigen Messern. Mit dem Auto jagten sie Mädchen. In zwei Nachbargemeinden hätten sie bereits vier erwischt, sie an den Füßen aufgehängt, geschlachtet und aus ihrem Blut Brot gebacken. Keiner ihrer Mitschüler zweifelt an ihrer Darstellung. Und obwohl Gudrun als Klatschmaul gilt, ist auch der neunjährige Ich-Erzähler überzeugt, dass sie nicht gelogen hat.

"Ich hatte zwar noch keinen Juden gesehen, doch ich hatte aus den Gesprächen der Erwachsenen schon viel über sie erfahren: Die Juden hatten alle eine krumme Nase und schwarzes Haar und waren schuld an allem Schlechten in der Welt. Sie zogen den ehrlichen Leuten mit gemeinen Tricks das Geld aus der Tasche [...]; sie ließen den Bauern das Vieh und das Korn wegholen und kauften von überallher Getreide zusammen, gossen Brennspiritus darüber und schütteten es dann ins Meer, damit die Deutschen verhungern sollten, denn sie hassten uns Deutsche über alle Maßen und wollten uns alle vernichten – warum sollten sie dann nicht in einem gelben Auto auf den Feldwegen lauern, um deutsche Mädchen zu fangen und abzuschlachten?"

Später versinkt er in einen Tagtraum: Die Insassen des Judenautos zerren ein Mädchen aus dem Kornfeld. Es ist die Mitschülerin, die zwei Reihen vor dem Erzähler sitzt und für die er heimlich schwärmt. Sie schreit und ruft nach ihm. Er kämpft gegen die Juden und rettet schließlich das ohnmächtige Mädchen. In diesem Augenblick schlägt ihm der Lehrer mit dem Lineal auf den Handrücken. Alle lachen, weil er beim Schlafen im Unterricht ertappt worden ist. Er muss nachsitzen.

Am Nachmittag wagt er sich nicht gleich nach Hause und läuft erst noch durch die Kornfelder. Es kommt ihm alles seltsam, fremd, fast bedrohlich vor. Als auf dem Feldweg ein braunes Auto auftaucht, erschrickt er, denn er sieht, "dass es mehr gelb als braun war, eigentlich gelb, ganz gelb, grellgelb". Er hält es für das Judenauto. Zwar sieht er nur drei Insassen, aber der vierte Jude duckt sich wohl, um ihn besser anfallen zu können. Jemand aus dem Auto ruft etwas. Da ist es mit seiner Beherrschung vorbei; schreiend rennt er ins Dorf und stellt erleichtert fest, dass ihm das Judenauto nicht gefolgt ist.

Am anderen Morgen genießt er die Bewunderung der Klassenkameraden, denen er davon erzählt, wie ihn das Judenauto stundenlang jagte. Die Insassen: vier Juden, blutige Messer schwingend. Haken schlagend sei er entkommen, erzählt er.

"Da sah das Mädchen mit dem kurzen, hellen Haar auf, und nun wagte ich, ihr ins Gesicht zu sehen, und sie wandte sich halb in ihrer Bank um und sah mich an und lächelte, und mein Herz schwamm fort. Das war die Seligkeit [...] die Welt war wieder heil, und ich war ein Held, dem Judenauto entronnen, und das Mädchen sah mich an und lächelte und sagte mit ihrer ruhigen, fast bedächtigen Stimme, dass gestern ihr Onkel mit zwei Freunden zu Besuch gekommen sei; sie seien im Auto gekommen, sagte sie langsam, und das Wort "Auto" fuhr mir wie ein Pfeil ins Hirn; in einem braunen Auto seien sie gekommen, sagte sie [...]."

Die Mädchen kichern. Der Erzähler stürzt aus der Klasse, sperrt sich in der Toilette ein und heult.

"[...] und plötzlich wusste ich: Sie waren daran schuld! Sie waren dran schuld, sie, nur sie: Sie hatten alles Schlechte gemacht, das es auf der Welt gibt, sie hatten meinem Vater das Geschäft ruiniert, [...] und auch mit mir hatten sie einen ihrer hundsgemeinen Tricks gemacht, um mich vor der Klasse zu blamieren. Sie waren schuld an allem; sie, kein anderer, nur sie!"

"Juden!", schreit er wieder und wieder, schluchzt und ballt die Fäuste. "Juden!"

(aus: Franz Fühmann: Die Verteidigung der Reichenberger Turnhalle, Das Judenauto und andere Erzählungen, Reclam Bd. 9858, Ditzingen, 1986)

Bearbeitung und Besprechung der Erzählung

Um die Erzählung wirken zu lassen, sollte zunächst in aller Stille innegehalten werden. Danach bietet sich eine kurze Murmelphase der Schülerinnen und Schüler mit den jeweiligen Nebensitzern an. Erst danach wird ein deutlich gelenktes Klassengespräch geführt. Herauszuarbeiten sind dabei folgende Punkte:

  1. Die Zeit, in der die Geschichte spielt: 1931, also während der Weimarer Republik, noch vor der nationalsozialistischen Machtergreifung.
  2. Die damals herrschende Grundstimmung gegenüber jüdischen Mitbürgern: Misstrauen, Feindseligkeit, Hass.
  3. Die falschen Beschuldigungen, die immer wieder genannt werden: Morde an Kindern, ihre Verantwortung für alles Schlechte in der Welt.
  4. Das gezeichnete Erscheinungsbild der Juden: finster, unheimlich, krumme Nase, schwarzes Haar …
  5. Unbedingt die Schuldfrage: Obwohl keine Juden in der Erzählung agieren, wird ihnen Schuld (= zentraler Begriff!) für das erlittene Leid zugewiesen.
Moosbewachsene Grabsteine mit hebräischer Inschrift.
Grabsteine auf dem alten jüdischen Friedhof in Worms Bild in Detailansicht öffnen
Blaues Straßenschild in Straßburg mit der Aufschrift „Rue des juifs“
Jüdische Spuren in Straßburg: "Rue des juifs" Bild in Detailansicht öffnen

Nun folgt ein kurzer Lehrervortrag als Hinführung zum Film. Betont wird, dass die scheinbare Schuld und die damit einhergehende Abstempelung des jüdischen Volkes zum Sündenbock in der abendländischen Geschichte eine lange, ins Mittelalter zurückreichende Tradition hat. Zum gleich darauf einzuspielenden Film werden die beiden Arbeitsblätter ausgegeben, wobei nebeneinander sitzende Schülerinnen und Schüler stets abwechselnd jeweils eines davon erhalten (Schüler A: Blatt 2.1, Schüler B: Blatt 2.2, Schüler C: Blatt 2.1 usw.) Dann machen sie sich mit den Aufgabenstellungen vertraut. Das erste Arbeitsblatt (2.1) beschäftigt sich mit der Haltung der meisten Christen gegenüber ihren jüdischen Mitbürgern, das zweite Arbeitsblatt (2.2) beleuchtet die sich daraus ergebenden Folgen für die Juden.

Nachdem der Film gesehen wurde, bleibt Zeit für die Aufgabenbearbeitung. Im Anschluss daran tauschen sich die Partner bezüglich ihrer notierten Arbeitsergebnisse aus. So wird die Grundlage für das zusammenfassende Plenumsgespräch zum Stundenende gegeben.

Im Fach Geschichte sollte deutlich werden, dass die seit Jahrhunderten latent vorhandene Judenfeindlichkeit schließlich die Grundlage zur Durchsetzung des Holocaust unter der nationalsozialistischen Diktatur bildete.

In Religion könnte die Rolle des Christentums bei der Ausgrenzung, Verfolgung und Vertreibung der Juden in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt werden. Toleranz gegenüber Andersgläubigen und –denkenden wäre ein thematischer Aspekt, der sich für das Fach Ethik hinsichtlich des Abschlussgesprächs eignen würde.

In allen drei Fächern sollte unbedingt die "Schuldfrage" nochmals deutlich beleuchtet und ein Bezug zur Gegenwart (zum Beispiel der Umgang heute mit ausländischen Mitbürgern, mit anderen Religionen usw.) geschaffen werden.

Methodische Erläuterungen

Fühmanns Erzählung - auch wenn sie in einer völlig anderen Zeit spielt - führt äußerst feinfühlig zum Kern der im Film aufgeworfen Problematik: Vorurteile gegenüber Fremden - in diesem Fall den mittelalterlichen Juden - und den daraus resultierenden Folgen für diese Menschen (Ausgrenzung, Vertreibung, Verfolgung, Ermordung). Durch die eher ungewöhnliche Methode des Vorlesens der Geschichte wird am Anfang des Unterrichts eine dichte, gespannte Atmosphäre geschaffen, die die Klasse für das Stundenthema öffnen soll. Zusammen mit den Ereignissen, die im Film geschildert werden und der Übertragung der Leitfrage in die Gegenwart am Ende des Unterrichts gelangen die so sensibilisierten Schülerinnen und Schüler schließlich zu einem allgemeingültigen moralisch-ethischen Erkenntnisgewinn mit den entsprechend angebahnten Handlungskompetenzen.

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