Praxisbericht: App: Knietzsches Geschichtenwerkstat
Themen
- Erzählen
- Schreiben
- Texte
Fächer
- Sachunterricht
- Deutsch
- Deutsch als Zweitsprache
Klassenstufen
- ab Klasse 1
Kurzbeschreibung
Mit der Planet Schule App „Knietzsches Geschichtenwerkstatt“ können Grundschulkinder eigene Knietzsche-Geschichten erzählen – wahr oder erfunden, ganz frei, ohne Vorgaben. Die App unterstützt Kinder beim Erzählen und fördert spielerisch Kreativität und Selbstvertrauen. Ursula Becky setzte die App in einer ersten und einer vierten Klasse an der Theodor-Heuss-Schule in Baden-Baden ein.
Bericht aus der Praxis
Der kleine Knietzsche – nein, nicht Nietzsche – ist in der Planet-Schule-Welt schon eine Weile bekannt. In der gleichnamigen Filmreihe hüpft der Kleine durch die großen Themen der alten Griechen und der Klassiker und macht diese für Schüler von heute in kurzen, knackigen Geschichten schmackhaft. Dabei geht es um Wahrheit, Freundschaft, Gerechtigkeit oder Schönheit.
Jetzt gibt es eine neue App für Tablets oder PC mit Knietzsche, bei der die Schüler selbst zu diesen Themen Geschichten interaktiv „bauen“ können. Die Software ist vielversprechend: Es gibt Figuren, Gegenstände und Hintergründe, aus der Handlung gezaubert werden soll. Eine Anleitung zeigt, wie man Figuren und Gegenstände ins Bild zieht, vergrößert oder verkleinert, dreht oder spiegelt. Dann gibt es noch das Textfeld unter jeder Szene. Geeignet für kurze Dialoge oder handlungsvorantreibende Zeilen, also die eigentliche Arbeit der kleinen Autoren. Die App gibt es kostenlos als Download – sie kann danach offline genutzt werden. Die selbstgeschaffenen, fertigen Storybords können ausgedruckt oder als PDF versandt werden.
Immer auf der Suche nach Anregungen, Kinder in die Königsdisziplin des kreativen Schreibens zu (ver-)führen, macht mich dieses Angebot neugierig. Gemeinsam mit den Machern der Software will ich mich in der interaktiven Schreibwerkstatt umsehen. Die Tablets kommen gemeinsam mit dem Planet-Schule-Team und bereits vorinstallierter Software vom SWR direkt an unsere Schule.
Vorgesehen ist, die App einmal mit Erstklässlern mit bereits passablen Lesekenntnissen und einmal mit Viertklässlern einzusetzen. Was kann man in beiden Zielgruppen erwarten? Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, um die App im Lehrerverständnis „sinnvoll“ einzusetzen? Meine Neugier mischt sich natürlich mit einer gewissen Skepsis: Ist das Ganze intuitiv genug, damit die App auch ohne Lehrer funktioniert? Daddeln und wischen die Kids nur rum oder schreiben sie auch?
Die Kids – wie immer für jeden neuen Input hochmotiviert – freuen sich auf Hightech und lassen sich in einem Vorgespräch auch erst mal „ganz analog“ aufs Philosophieren ein. Wir kreisen ein, wonach Philosophen eigentlich suchen und im Sinne einer Vorentlastung für die folgende Schreibstunde lasse ich sie Fragen finden, die sie als Philosophen hätten… Was da aus Kindesmund kommt, bietet durchaus Stoff für so manche Geschichte, wie ich finde:
- Wo kommen wir her?
- Könnte ich auch im Körper eines anderen sein?
- Wer ist wohl der letzte Mensch, den es auf der Erde gibt?
- Warum gibt es böse Menschen?
- Wie wäre das, wenn auf der Welt alles schwarz wäre?
- Die vielbesungene fehlende Fantasie der heutigen Jugend lässt sich an dieser Stelle nicht beklagen. So weit die Vorrunde.
Erste Klasse
Montag, 8:30 an meiner Grundschule …
zuerst mit den ganz kleinen Philosophen. Mustafa, Emil, Clara und Maximilian. Nach einem Wochenende haben sie „von Haus aus“ immer sehr viel zu erzählen…. Jetzt aber konzentriert sich ihre Aufmerksamkeit auf die Tablets. Einer von den vier Erstklässlern ist bereits mit Tablets vertraut und auch bei den anderen klappt das mit dem Navigieren auf den smarten Geräten gleich ziemlich problemlos. Mit Unterstützung des Planet-Schule-Teams schauen wir also bei Knietzsche vorbei und sind gleich mittendrin.
Die Oberfläche ist übersichtlich: Verschiedene Elemente erinnern daran, dass Knietzsche ein kleiner Philosoph ist, der sich mit großen Themen befasst: Drei Kurzvideos (Filmstreifensymbol) erzählen Geschichten über Gefühle, um den Einstieg zu erleichtern. Die kurzen Clips kann man mit den Schülern anschauen, muss es aber nicht.
Zusätzlich werden zwei Bildergeschichten angeboten, die sich ebenfalls um das Thema Gefühle drehen. Bei diesen beiden Geschichtsvorlagen (Buchsymbol) spielt sich die Mutmacher-Giraffe gleich in die Herzen meiner Kleingruppe. Vielleicht gibt es hier auch so etwas wie einen Wiedererkennungseffekt auf philosophischer Ebene… So könnte also eine fertige Geschichte einmal aussehen. Dreizehn Bilder mit kurzen Untertiteln erzählen in der einen Geschichte von Funny, ihrer Angst, einer Gummigiraffe und dann von ihrem Mut. Oder – in der anderen Geschichte – von einer ungewöhnlichen Freundschaft, wo Spinnen krabbeln, Köpfe rollen und der beste Freund einfach immer alles rettet.
Emil beißt sich ein bisschen länger an den „Modellgeschichten“ fest, Clara drückt schon mal auf das große Pluszeichen oben links bei „Neue Geschichte“. Oh, hier sieht es wirklich wie in einer Werkstatt aus. Oben laufen die Szenenbilder klein und groß, Figuren, Gegenstände und Hintergründe.
Nach einer Weile sind auch Mustafa, Emil und Maximilian in der Werkstatt. Wie erwartet geht es zunächst um die Bilder – ein eifriges Klicken, Schieben und Drehen auf dem Tablet. Lehrer in Klassenzimmern, Tiger am Strand, Haie unter Wasser und an Land. Szene eins ist also im Kasten und ich zeige den Nachwuchstalenten, wie sie in das Textfeld springen. Noch etwas mühsam und zunächst auch ziemlich ungesteuert legen die Kinder intuitiv los. Die teilweise kryptischen Textfeldeintragungen passen noch nicht wirklich zu den Bildern. Das macht aber nichts. Wir sind begeistert von so viel Schreiblust am frühen Morgen.
Bei Maximilian setze ich mich für eine Weile dazu und wir versuchen zusammen, ein wenig aufzuräumen und zu beschriften. Die Bilder werden allmählich zu Szenarien, die den Einstieg für eine Geschichte darstellen. Mustafa und Clara haben auch schon eine sehr kurze Textzeile zu ihrem Bild gefunden.
Clara und Emil erzählen auch gerne ihre Geschichten, die – noch etwas unfertig – in ihrem Kopf stattfinden. Schneller als gedacht hat Clara am Ende der Stunde das Deckblatt in der virtuellen Werkstatt gefunden und bevor die Geschichte so richtig anläuft oder gar schon ein Ende findet, hat die Autorin bereits ihren Namen eingetragen: Das große Feld zur Beschriftung war nicht zu übersehen.
Intuitives Lernen mit moderner Technik und kooperatives Lernen liegen nahe beieinander: Was Clara ihren Freunden weitergibt, müssen wir nicht mehr erklären und kurz vor dem 2. Pausengong (sie haben die ganze Pause über weitergeschrieben…) haben alle Geschichten einen Titel und vor allem einen Autor.
Halt, bevor die Schreiber zurück in ihre Klassen gehen, sollen sie noch sagen, wie sie die Schreibrunde am Tablet fanden. Wir rechnen damit, dass die Kinder vor allem von den Bildern und Gestaltungsmöglichkeiten fasziniert sein würden. Schließlich sind wir ja in einer ersten Klasse. Die Antworten erstaunen uns daher: Mehrfach hören wir, dass es toll war, eine Geschichte selbst zu machen, und vor allem auch: zu schreiben. Meine klischeehaften Anfangsbedenken wurden damit eindeutig widerlegt. Wir „Großen“ vermuten, dass das Angebot an Bildern den Einstieg ins Erzählen vereinfacht. Räume, Figuren und Dinge sind schon da. Der beschreibende Teil weicht dem „Action“-Teil.
Maximilian erklärt mir später, dass er am Abend seinen Eltern vorschlagen will, die App „irgendwie“ auch auf das heimische Tablet oder den PC zu laden. Clara möchte das Ganze vielleicht mit Malen und Schreiben weiterverfolgen, Emil hat Lust auf die Filmreihe mit Knietzsche bekommen und Mustafa findet es schade, dass die Tablets mit den Geschichtenanfängen wieder eingesammelt werden. „Hat aber trotzdem total viel Spaß gemacht“, kommt noch hinterher.
Vierte Klasse
In der nächsten Stunde werden die Viertklässler wischen, schubsen, drehen …und schreiben, wie wir hoffen. Die Anleitung habe ich ihnen bereits in der Woche zuvor gezeigt. Die Giraffen- und Spinnengeschichte kann hier problemlos und schnell gelesen werden und es gibt noch einen kurzen Input dazu, wie eine Geschichte zu einer guten Geschichte wird, eine, die man auch wirklich bis zu Ende liest…. Und auf meine Frage, was es für Zutaten für eine Geschichte braucht, kommt von Juri prompt: Bilder, Worte und Fantasie. Also los! Wir versuchen, einigermaßen gemeinsam und mit einer gewissen Reihenfolge Hintergrund, Figuren und Gegenstände zu platzieren und mit dem Text in Beziehung zu setzen. Die Fantasie lässt nicht lange auf sich warten….
Lana und Vitalia suchen sich als Erstes den Strand-Hintergrund aus. Ich frage vorsichtig nach einem Thema. Gibt es etwas, das ihr mit der Geschichte, die hier am Strand anfängt, zeigen wollt? „Hmm, ja schon...“, aber noch nicht so ganz klar. Macht ja nichts. Kann ja noch kommen. Oder soll es einfach nur lustig und verrückt werden? Dann braucht man sich am Anfang nicht ganz so viel überlegen. Darauf legt Michael großen Wert. Er arbeitet, wischt und gestaltet und schafft Bilder und Texte aus einem zunächst noch unbekannten Genre.
David bleibt mehr an der Realität und treibt die Handlung – wenn auch teilweise etwas sprunghaft – mit vielen Szenenwechseln voran. Meine innere Lehrerstimme hält mich dazu an, Überleitungen anzuregen, um die Leser nicht zu überfordern. Aus Kindersicht wird dieser Anspruch überschätzt und gelegentlich ignoriert. Ich ziehe mich immer mehr aus dem Schaffensprozess zurück und bemerke eine unglaubliche, arbeitssame Ruhe, was sowohl das Planet-Schule-Team, die Macher der App, als auch mich nachhaltig beeindruckt.
Ich schaue nochmal bei den Mädels vorbei, die tatsächlich eine Geschichte mit Thema und „Botschaft“ in Angriff genommen haben. Es geht um Freundschaft und ganz viel Gefühle. Ganz fertig werden sie nicht mit der Geschichte, weil wir noch eine kurze „Pressekonferenz“ mit den Redakteuren anberaumt haben. Als Erstes muss Lana bemängeln, dass die Zeit zu kurz, beziehungsweise ihre Geschichte eben so lang ist, dass sie nicht fertig geworden ist. Andere Schüler aber konnten ihre Geschichte beenden. Und sonst?
Vitalia: „Tolle Hintergrundbilder“
Michael: „Cool, dass man die Figuren einfach so hinlegen kann und ja, ein Fußballfeld als Hintergrund wäre genial.“
David: „Das hat Spaß gemacht, so auszuprobieren und dazu was zu schreiben, was von einem selbst ist.“ (Das haben wir in der vorherigen Stunde ja schon mal gehört, scheint also altersübergreifend zu „ziehen“.)
Lana: „Man muss nicht so viel schreiben wie normal bei einer Geschichte, weil ja vieles schon auf dem Bild zu sehen ist.“
Juri: „Wir bräuchten mehr Zeit. Die unterschiedlichen Gesichter von einer Figur waren cool. Einen Vulkan hätte ich noch gebrauchen können.“
Ein paar meiner Kinder wollen die App zu Hause weiterverwenden und fragen, ob sie auch in ihrer Muttersprache schreiben können. Warum nicht? Die Software macht da ja keine Vorgaben. Dies bringt mich sofort auf den Gedanken, dass diese App auch im Fremdsprachenunterricht einsetzbar wäre. Tipp für Fremdsprachenlehrer!
Ich freue mich über den Spaß mit Technik, Bildern und Text an diesem Vormittag und bin wieder einmal davon überzeugt, dass Geschichten, Geschichten erzählen, verrückte Spinnereien und Fantasie niemals aus den Köpfen junger Menschen verschwinden werden. Dabei erinnere ich mich kurz an den Ausspruch Sokrates über die verkommene Jugend seiner Zeit, die so Vieles nicht mehr kann… Da hat sich ein großer Philosoph vielleicht doch ein bisschen getäuscht.