Priština, Kosovo, am 28.11.2015: Proteste gegen ein Abkommen zwischen Serbien und Kosovo.
dpa
Das Kosovo hat 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt. Damit entstand der jüngste Staat in Europa. Dennoch bleibt der Status des Kosovo umstritten, denn seine Souveränität wird nicht von allen Ländern der Vereinten Nationen anerkannt. Die ethnischen Konflikte zwischen der Mehrheit der Kosovo-Albaner und den Kosovo-Serben dauern schon seit vielen Jahrzehnten an. Seit 2013 ist die Zahl der Auseinandersetzungen zwischen den Ethnien allerdings zurückgegangen. Das von der Europäischen Union vermittelte „Brüsseler Abkommen“ vom April 2013 trägt zur Entspannung der Lage bei. Das Abkommen legt die Rechte der serbischen Minderheit in dem vorwiegend von Albanern bewohnten Kosovo fest. Der Beschluss wird als teilweise Anerkennung des unabhängigen Kosovo durch Serbien interpretiert. Im Gegenzug werden die Beitrittsverhandlungen beider Länder mit der Europäischen Union intensiviert.
Die Konflikte im Kosovo haben ihren Ursprung bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts, lange vor der Zeit der Jugoslawienkriege. Das Kosovo war das ärmste Land im Staatenverbund Jugoslawien und ist heute das „Armenhaus“ Europas. Der Weltbank zufolge lebt knapp die Hälfte der 1,8 Millionen Einwohner von weniger als 1,55 Euro am Tag. Armut und soziale Ungleichheit sind der Nährboden für ethnische Konflikte. Nach dem ersten Balkankrieg 1912 wird das Kosovo zum Spielball machtpolitischer Interessen in der Region.
Die Stadt Prizren im Kosovo war für die serbisch-orthodoxe Kirche ein religiöses Zentrum und wurde zur Zeit der Osmanen ein wichtiger Ort für Muslime
SWR - Screenshot aus der Sendung
Seit langem beanspruchen sowohl die Serben als auch die Albaner das Kosovo für sich. Der Konflikt geht auf die Zeit zurück, als das Osmanische Reich im 15. Jahrhundert das Kosovo von Serbien eroberte. Nach der Flucht der Serben siedelten sich Albaner in den von Serben verlassenen Gebieten an. Im Balkankrieg 1912/13 eroberten die Serben das Kosovogebiet vom Osmanischen Reich zurück. Seither war es völkerrechtlich ein Bestandteil Serbiens. Die Kosovo-Albaner begründen ihre Ansprüche auf das Kosovo damit, dass sie seit Ende des 19. Jahrhunderts die Bevölkerungsmehrheit in diesem Gebiet stellen, und beziehen sich auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Die serbisch-orthodoxe Kirche hat einige ihrer wichtigen religiösen Zentren im Kosovo. Deshalb betrachten viele Serben das Kosovo als ihr „Heiliges Land“. Während der Herrschaft des Osmanischen Reiches entstanden im Kosovo auch für Muslime bedeutende wirtschaftliche und religiöse Orte.
Die jugoslawischen Partisanen befreiten das Land von den faschistischen Besatzern und kämpften für den Vielvölkerstaat Jugoslawien
SWR - Screenshot aus der Sendung
Nach dem Zweiten Weltkrieg will die sozialistische Regierung unter dem Ministerpräsidenten Josip Broz Tito die ethnischen Minderheiten im Bundesstaat Jugoslawien miteinander versöhnen. Als bereits in den 1970er Jahren im Vielvölkerstaat Forderungen nach mehr Unabhängigkeit und Selbstbestimmung laut werden, reagiert Tito mit einer neuen Bundesverfassung, die den einzelnen Teilrepubliken größere Rechte einräumt. Auch die autonome Provinz Kosovo wird nun an der Verwaltung des Gesamtstaats beteiligt und erhält weitergehende Selbstbestimmungsrechte. So wird zum Beispiel neben dem Serbischen nun auch das Albanische offizielle Amtssprache. Allerdings gehört die autonome Provinz Kosovo weiterhin zu Serbien.
Mit dem Autonomiezuwachs für das Kosovo erfährt das kulturelle Leben der Albaner in den 1970er Jahren einen Aufschwung. Zahlreiche albanisch sprachige Bücher erscheinen, die albanische Volkskultur in Musik und Tanz wird wiederbelebt. Albanische Intellektuelle sind bemüht, das Bewusstsein für die eigene Nation zu fördern. Viele Studien behandeln die Geschichte, Literatur und Tradition der Albaner. Dabei werden auch fragwürdige Vorstellungen über den geschichtlichen Anspruch der Albaner auf das Kosovo vertreten. Das Kosovo, so die Behauptung, sei ein uraltes albanisches Siedlungsgebiet, in dem Albaner seit Jahrhunderten unverändert die Bevölkerungsmehrheit ausmachten. Schon in der Antike sei das Kosovo in großer Zahl von Albanern besiedelt worden. Erst 1913 sei die Provinz unter serbische Herrschaft gekommen. Als es 1981 zu albanischen Massenprotesten kommt, die sich gegen die schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse richten, mischen sich nationalistische Parolen in den Protest. Viele sehen in einer Anerkennung des Kosovo als siebte Republik Jugoslawiens eine Lösung der Krise. Auch der Ruf nach Unabhängigkeit wird laut. Die Unruhen tragen wesentlich zur Verschärfung der Gegensätze zwischen Serben und Albanern bei.
Auf den wachsenden Nationalismus der Albaner reagieren die Serben mit zunehmenden Ressentiments gegenüber den Albanern. Die Abwanderung der Serben aus dem Kosovo, die häufig wirtschaftliche Gründe hat, dient als Vorwand für eine anti-albanische Kampagne und wird als gezielte Vertreibung gedeutet. Serbische Medien und Intellektuelle behaupten, Albaner würden serbische Mädchen vergewaltigen, Serben ermorden, ihre Häuser anzünden und ihre Friedhöfe und Kirchen schänden. Die Rede ist von Völkermord. Zu dieser Stimmungslage kommt eine Wiederbelebung romantischer Vorstellungen, in denen vom Kosovo als "Wiege Serbiens" geschwärmt wird.
Der 600. Jahrestag der „Schlacht auf dem Amselfeld“ am 28. Juni 1989 wird für die Serben zu einer Demonstration nationaler Stärke
dpa
Ein serbischer Mythos besagt, in einer heldenhaften Schlacht von 1389 auf dem Amselfeld hätten die Serben das christliche Europa gegen die anstürmenden muslimischen Osmanen verteidigt. Die Schlacht gilt als Symbol der Opferbereitschaft und zugleich als Schicksalswende für das serbische Volk. Danach sei das Kosovo zwar unter osmanische Herrschaft gekommen, aber erst später seien die Albaner zugewandert. 1986 erscheint das "Memorandum der Serbischen Akademie der Wissenschaften", das von einer Gruppe führender Intellektueller verfasst wird. Das Memorandum beklagt scharf die Benachteiligung der Serben in Jugoslawien und beschwört eine von den Albanern im Kosovo ausgehende Gefahr. "Das Schicksal des Kosovo ist eine Lebensfrage für die gesamte serbische Nation", heißt es darin. Einen Höhepunkt findet die nationale Euphorie 1989 auf der 600-Jahr-Feier anlässlich der "Schlacht auf dem Amselfeld". Über eine Millionen Serben kommen zur Gedenkstätte im Kosovo, wo der serbische Präsident, Slobodan Milošević, sich in einer Rede für eine Erneuerung Serbiens stark macht.
Von 1988 bis 1990 unternimmt die serbische Führung unter Slobodan Milošević verschiedene Schritte, um die autonome Regierung im Kosovo zu entmachten. Nach der Absetzung der politischen Führung der Albaner wird durch eine Verfassungsänderung der von Tito erweiterte Autonomiestatus von 1974 praktisch aufgehoben. Am 5. Juli 1990 lösen serbische Polizei und Armee das Parlament und die Regierung des Kosovo auf. Diese Maßnahmen werden von einer Welle von Entlassungen begleitet. Mehr als 100.000 Albaner im öffentlichen Dienst in Fabriken, Betrieben, Krankenhäusern und Schulen verlieren ihre Arbeit. Die Universität Priština wird durch die Entlassung des nahezu gesamten albanischen Lehrpersonals und durch den Ausschluss albanischer Studenten zu einer rein serbischen Einrichtung.
Darüber hinaus verbieten die serbischen Behörden albanisches Radio und Fernsehen und die wichtigste albanische Tageszeitung "Rilindja" (Wiedergeburt). Albanisch wird als offizielle Sprache abgeschafft. Es kommt immer häufiger zu Übergriffen der Polizei. Hausdurchsuchungen, Festnahmen, Verhöre und Misshandlungen sind an der Tagesordnung. Die Gerichte im Kosovo verurteilen zehntausende Albaner zu langjährigen Haftstrafen mit der Begründung, sie würden die gewaltsame Abspaltung des Kosovo von Serbien anstreben.
1918 wird das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen gegründet. In dem Staat bleiben ethnische Konflikte bestehen.
SWR - Screenshot aus der Sendung
Im frühen Mittelalter gehörte das Kosovo zunächst zum Byzantinischen Reich, bis 1018 dann zum Bulgarischen Reich, anschließend für zwei Jahrhunderte wieder zum Byzantinischen Reich. Im 13. Jahrhundert wurde das Kosovo Bestandteil des mittelalterlichen Serbischen Reiches. Mitte des 15. Jahrhunderts bis 1913 geriet das Kosovo dann unter osmanische Herrschaft. Die Mehrheit der Bevölkerung war vor der osmanischen Eroberung serbisch, der albanische Bevölkerungsanteil nahm aber vor allem seit dem 16. Jahrhundert ständig zu. Viele Serben wanderten aus dem Kosovo aus.
Die serbische Regierung betrachtet das Kosovo als einen Teil Serbiens. Sie begründet dies damit, dass im Mittelalter das Kosovo serbisches Gebiet war. Die meisten Albaner erachten die serbischen Ansprüche auf das Kosovo als Unrecht und fühlen sich von Serbien unterdrückt. Die Albaner wehren sich schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit Gewalt gegen die Serben und greifen aus dem Gebirge heraus serbische Einheiten an. Auf den von 1918 bis 1924 dauernden bewaffneten Widerstand der Albaner reagieren die Serben mit der Ermordung vieler Albaner und der Zerstörung ihrer Häuser. Davon profitieren vor allem serbische Armeeangehörige, die in den Balkankriegen das Kosovo erobert haben. Sie erhalten kostenlos Ländereien und das Verkaufsrecht für diese nach zehn Jahren. Jedoch kehren viele Serben wegen der schlechten Versorgung und der schwierigen Lebensbedingungen Anfang der 1930er Jahre wieder in ihre Heimatregionen zurück.
Ab 1935 tritt die Enteignung des albanischen Landes in eine neue Phase. Dabei entwickelt der serbische Historiker Vasa Čubrilović Ideen zur systematischen Vertreibung der Albaner, die 1937 dem serbischen Parlament in Belgrad präsentiert werden. Pro Person sollen den Albanern nur noch 0,4 Hektar Land zur Verfügung stehen, zu wenig zum Überleben. Die Landbevölkerung soll unter das Existenzminimum gedrängt und somit zur Auswanderung gezwungen werden. Schließlich wird mit der türkischen Regierung, als Nachfolgestaat des Osmanischen Reiches, ein Abkommen über die Auswanderung von 40.000 albanischen Familien in die Türkei unterzeichnet.
Das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen
SWR - Screenshot aus der Sendung
Das Emblem der albanischen paramilitärischen Organisation UÇK
dpa
Ab 1996 bestimmt die paramilitärische UÇK mehr und mehr den albanischen Widerstand. Sie hat ihre Wurzeln in einer Reihe von politischen Untergrundorganisationen und will mit dem bewaffneten Aufstand die Unabhängigkeit des Kosovo von Serbien erreichen. Zu Beginn setzt sich die UÇK aus einer kleinen Zahl trainierter Soldaten, ehemaligen politischen Gefangenen und jungen Männern der Landbevölkerung zusammen, die mit Gewehr und uniformähnlicher Kleidung ausgestattet sind. Sie bekommt jedoch bald regen Zulauf von Freiwilligen. Viele sehen die Strategie des gewaltfreien Widerstands als gescheitert an. Die UÇK schmuggelt Waffen aus dem benachbarten Albanien ins Kosovo und macht zunächst mit vereinzelten Anschlägen auf sich aufmerksam. Ein Generalstab der UÇK bekennt sich zu gewaltsamen Aktionen gegen Serben, aber auch gegen Albaner, die beschuldigt werden, mit Serben zusammenzuarbeiten.
Als die UÇK Anfang 1998 erstmals offen serbische Polizeiposten angreift, überschreitet der Konflikt die Schwelle zum Krieg. Im Sommer 1998 besetzt die UÇK das Berg- und Hügelland des Zentralkosovo, kontrolliert wichtige Verbindungsstraßen und erklärt erste Regionen zu "befreiten Gebieten", ohne sich jedoch in größeren Städten halten zu können. Nach eigenen Aussagen kontrolliert die UÇK zu diesem Zeitpunkt 40 Prozent des Territoriums. Sie wird zum Symbol des albanischen Widerstands. Immer mehr junge Männer der Landbevölkerung schließen sich ihr an. Die UÇK bleibt jedoch schlecht organisiert. Sie verfügt weder über eine zentrale Leitung zur Koordinierung des Kampfes noch über schwere Waffen. Ihre Armee ist zu schwach, um gegen die hochgerüstete serbische Polizei und Armee zu bestehen und die besetzten Gebiete zu halten.
Albanische UÇK-Kämpfer im Jahre 1999. In diesem Jahr beendete die UÇK offiziell den bewaffneten Kampf im Kosovo.
dpa
Der Krieg zwischen der albanischen UÇK und serbischen Polizei- und Armeeeinheiten zeichnet sich durch systematische Gewalt gegen Zivilisten – Kinder, Frauen und Alte – aus. Um den Rückhalt der UÇK in den Dörfern und Städten zu zerstören, verfolgen die serbischen Streitkräfte eine Strategie der Vertreibung der albanischen Bevölkerung. Der UÇK soll so jede Möglichkeit genommen werden, sich zu verstecken oder Nachschub zu organisieren. Häuser und Geschäfte werden geplündert und niedergebrannt. Unter Aufsicht werden die Kosovo-Albaner mit Zügen, Bussen oder Lastwagen an die Grenzen des Kosovo gebracht. Zuvor werden Ausweise und Autokennzeichen eingezogen, Wahllisten und Grundbücher verbrannt. Die Vertriebenen sollen später nicht mehr den Nachweis erbringen können, dass sie im Kosovo gelebt haben.
Im Sommer 1998 befinden sich 300.000 Albaner aus dem Kosovo auf der Flucht. Berichte über Massaker der Serben, über Vergewaltigungen und Erschießungen führen im Oktober 1998 zur Entsendung von Beobachtern der OSZE in das Kosovo. Im Januar 1999 sind allerdings erst 800 von ihnen vor Ort, viel weniger als geplant. Die Einschätzung der Lage im Kosovo – bis Mitte März wächst die Zahl der vertriebenen Albaner auf 440.000 an – ist widersprüchlich. Auf der einen Seite kommt es zu grausamen Bluttaten, wie im Dorf Račak mit mehr als 40 toten Albanern. Westliche Beobachter erklären die Tat auf den ersten Blick zu einem von Serben verübten "Massaker an Zivilisten". Auf der anderen Seite ist am 22. März 1999 in einer Tagesmeldung des Amtes für Nachrichtenwesen der Bundeswehr zu lesen: "Tendenzen zu ethnischen Säuberungen sind weiterhin nicht zu erkennen". Dennoch wird zwei Tage später, am 24. März 1999, die NATO mit Luftangriffen in den Kosovo-Krieg eingreifen.
Die Serben sehen sich als "Zielscheibe" der NATO. Demonstration in Belgrad im Frühjahr 1999 gegen die geplanten NATO-Angriffe
dpa
Seit dem Beginn der Kämpfe im Kosovo 1998 versuchen vor allem die USA, Frankreich, Großbritannien, Russland und Deutschland, aktiv zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln. Jedoch bleiben sämtliche diplomatischen Bemühungen ohne Erfolg. Die NATO droht schließlich mit einem militärischen Eingreifen. Obwohl sich die westlichen Staaten als neutrale Vermittler verstehen, werden die serbische Seite und ihr Führer, Slobodan Milošević, ab Anfang 1999 zum eigentlichen Gegner der NATO. Am 6. Februar 1999 beginnen im französischen Rambouillet unter der Vermittlung der NATO konkrete Friedensverhandlungen zwischen der serbisch-jugoslawischen Führung und den Führern der Kosovo-Albaner. Der zur Unterzeichnung ausgearbeitete Vertrag sieht für das Kosovo innerhalb Serbiens weitgehende Autonomie vor. Im Gegenzug sollen die UÇK entwaffnet und NATO-Truppen in der Provinz stationiert werden. Während die Delegation der Kosovo-Albaner unterzeichnet, lehnt die serbische Seite den Vertrag ab; insbesondere den so genannten Anhang B, der neben einer Stationierung von NATO-Friedenstruppen auch das Recht auf Durchzug von NATO-Truppen, inklusive Manövern auf jugoslawischem Hoheitsgebiet, vorsieht. Dies scheint der serbisch-jugoslawischen Regierung unannehmbar, sie sieht darin den Verlust ihrer Hoheit über die Bundesrepublik Jugoslawien. Die Verhandlungen von Rambouillet scheitern, und die NATO macht ihre Drohung, militärisch einzugreifen, wahr.
Deutscher Tornado startet am 23. März 1999 zum Aufklärungsflug über Serbien
dpa
Am 24. März 1999 beginnen NATO-Streitkräfte, an denen vor allem die USA beteiligt sind, Ziele in Serbien und im Kosovo zu bombardieren. Die NATO will die serbischen Streitkräfte zerstören und die Vertreibung der Albaner stoppen. Die Luftangriffe richten sich sowohl gegen militärische Ziele als auch gegen Brücken, Straßen, Flughäfen und Fabriken, um die Bewegung und den Nachschub der serbischen Armee zu unterbinden. Sie können jedoch die serbische Vertreibungspolitik im Kosovo kaum behindern. Am Ende des Krieges sind etwa 1,2 Millionen Menschen innerhalb und außerhalb des Kosovo auf der Flucht. Anders als beim NATO-Einsatz in Bosnien liegt diesmal kein Beschluss der UNO vor. Nach ihrer Charta ist ausschließlich der Sicherheitsrat befugt, militärische Zwangsmaßnahmen gegen einen Staat zu verhängen. An der Frage nach der Legitimität des NATO-Einsatzes und der Strategie eines reinen Luftkriegs, der viele zivile Opfer fordert, entzündet sich in Europa eine heftige Diskussion.
Befürworter des NATO-Einsatzes sehen darin die Verhinderung einer "humanitären Katastrophe" – die Gegner führen ins Feld, dass der Krieg die Situation der Flüchtlinge nur verschlimmere und dass das eigentliche Ziel der Sturz Miloševićs und damit ein Regimewechsel in Belgrad sei. Am 16. Oktober 1998 stimmt der deutsche Bundestag dem Einsatz der Bundeswehr bei NATO-geführten Operationen im Kosovo zu. Für die Bundeswehr ist dies die erste aktive Teilnahme an einem Krieg seit dem Zweiten Weltkrieg. Sie beteiligt sich hauptsächlich mit Einsätzen von Jagdbombern und Aufklärungsflügen. Mit dem Bundestagsbeschluss von 1998 und der aktiven Teilnahme an Kriegshandlungen außerhalb deutschen Territoriums wird der Auftrag der Bundeswehr als reine Verteidigungsarmee, wie es das Grundgesetz bisher vorsah, neu definiert.
Am 13. Juni 1999 feiern Hunderte von Albanern den Einzug der KFOR in die Hauptstadt des Kosovo
dpa
Am 3. Juni 1999 nimmt die serbische Führung unter Slobodan Milošević nach erneuten Vermittlungsversuchen einen internationalen Friedensplan an, der mit der UN-Resolution vom 10. Juni 1999 in Kraft tritt. Dieser sieht ein sofortiges Ende der Gewalt im Kosovo vor, den Rückzug der serbischen Sicherheitskräfte und die Rückkehr der Flüchtlinge. Im Kosovo wird unter Beteiligung der NATO eine Friedenstruppe, die KFOR, stationiert. Darüber hinaus soll die UNO die Selbstverwaltung der Provinz wiederherstellen. Die Interimsverwaltungsmission der Vereinten Nationen im Kosovo (UNMIK) soll für den Wiederaufbau von Parlament, Regierung, Polizei sowie von Häusern und Straßen sorgen. Die KFOR soll neue Feindseligkeiten verhindern und die Sicherheit aller Bewohner des Kosovo gewährleisten.
Während die Spannungen zwischen den Kosovo-Albanern und den Kosovo-Serben in den letzten Jahren etwas nachgelassen haben, nehmen im Jahr 2015 die Konflikte zwischen der kosovarischen Regierung und der Opposition zu. Die verschiedenen politischen Fraktionen der Kosovo-Albaner sind zerstritten darüber, welche Positionen sie gegenüber der serbischen Minderheit und der internationalen Staatengemeinschaft vertreten sollen.
Armutsviertel im Kosovo
SWR - Screenshot aus der Sendung
Die politischen Konflikte im Kosovo haben häufig soziale und wirtschaftliche Gründe. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 45%. Das Durchschnitteinkommen im Kosovo liegt bei weniger als 10% des EU-Durchschnittes. Der Mangel an beruflichen Perspektiven veranlasst viele Kosovo-Bewohner zur Auswanderung. Im Jahr 2014 haben rund 5% der Bevölkerung das Land verlassen. Viele Kosovaren sind auf die Geldüberweisungen von Familienmitgliedern aus dem Ausland angewiesen. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) machen diese Überweisungen 14% des Bruttoinlandproduktes im Kosovo aus. Der für das Kosovo mit Serbien ausgehandelte UN-Friedensplan von 1999 sieht zunächst vor, dass das Kosovo eine Provinz Serbiens bleibt und von Albanern und Serben gleichermaßen regiert wird.
2003 wird das Kosovo auch offiziell zu einer Teilregion Serbiens ernannt. Die Führung der Albaner möchte jedoch eine vollständige Unabhängigkeit des Kosovo von Serbien erreichen. Die internationale Staatengemeinschaft ist sich nicht einig darüber, ob eine Unabhängigkeit ratsam ist. Man fürchtet eine Nachahmung in anderen Regionen Europas und weitere gewaltsame Kämpfe von Unabhängigkeitsbewegungen. Dennoch erklärt am 17. Februar 2008 das kosovarische Parlament die Unabhängigkeit des Kosovo. Damit entsteht der jüngste Staat Europas. Inzwischen erkennen 110 der 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen die Republik Kosovo als unabhängig an, darunter die USA, Deutschland und die Mehrheit der europäischen Staaten. Ausdrücklich nicht anerkannt wird die Unabhängigkeit des Kosovo von Staaten wie Serbien, Russland und der Volksrepublik China und auch den EU-Ländern Griechenland und Spanien.
In einem Bericht des Europarates von 2010 werden Verstrickungen der kosovarischen Befreiungsarmee (UÇK) in Kriegsverbrechen aufgedeckt. Die UÇK soll Gefangene getötet haben, um deren Organe zu verkaufen. Zudem werden ehemaligen Mitgliedern der kosovarischen Befreiungsarmee, die heute im kosovarischen Staatsapparat vertreten sind, Verbindungen zur organisierten Kriminalität vorgeworfen. Die Regierung im Kosovo widersetzte sich zunächst. Nachdem der Druck der internationalen Verhandlungspartner zunimmt, stimmte das kosovarische Parlament im August 2015 der Einrichtung eines internationalen Gerichtshofes zu. Ein neues Sondergericht in Den Haag soll die Verbrechen während des Unabhängigkeitskrieges des Kosovo aufarbeiten.
Gjilan, Kosovo 2015: Viele Kosovaren sehen in der EU einen Ausweg aus der Armut und Korruption
Imago
Das Kosovo hat außerdem im Oktober 2015 ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet. Zentrale Punkte des Abkommens sind ein verstärkter politischer Dialog und die Öffnung der EU-Märkte für kosovarische Produkte. Kosovarische Staatsangehörige benötigen derzeit im Gegensatz zu den Staatsangehörigen aller anderen Staaten des Westbalkans ein Visum, wenn sie in die EU einreisen wollen.
Die EU unterstützt als wichtigster internationaler Geldgeber das Kosovo: Für 2016 sind Zahlungen von 90 Millionen Euro geplant. Zudem unterstützt die EU-Mission EULEX den Aufbau eines rechtstaatlichen Systems, konkret heißt das: den Aufbau eines Justizsystems, einer funktionierenden Polizei und einer Zollbehörde. Im Kosovo arbeiten im Auftrag der EU 750 internationale Richter und Staatsanwälte. Das ist die bisher einzige Mission der EU, die beim Aufbau einer Rechtsstaatlichkeit tätig ist. Allerdings wurde der EULEX Kosovo eine nur schleppende Bekämpfung der Korruption vorgeworfen und Mitarbeiter der EULEX gerieten in den letzten Jahren selbst wegen Korruptionsverdacht in die Kritik. Kosovo ist eines der korruptesten Länder Europas. Vetternwirtschaft und die enge Verbindung zwischen Politikern und organisierter Kriminalität sind die größten Probleme im Land.