Stelzenlauf in Frankreich
Die Schafhirten an der französischen Atlantikküste hatten es in vergangenen Zeiten nicht leicht: In der kargen Heidelandschaft, die bis Mitte des 19. Jahrhunderts typisch für die südwestfranzösischen "Landes" war, verschwanden ihre Schafe nur allzu schnell im Gestrüpp; oft mussten die Hirten sie dann stundenlang suchen. Auf dem nassen und sumpfigen Boden bekamen sie feuchte Füße und waren der Gefahr durch Wölfe ausgesetzt.
Wer genau die findige Idee mit den Stelzen hatte, weiß man heute nicht mehr; vielleicht haben die Hirten sie von den Holländern übernommen. Fest steht jedenfalls, dass die Schäfer sich irgendwann auf die hölzernen Beine, die "échasses", schwangen, um von nun an ihre Herden aus der Höhe zu überblicken - bis Mitte des 19. Jahrhunderts auf kaiserlichen Erlass in den Landes Kiefernwälder gepflanzt wurden. Die Heidelandschaft wurde trockengelegt, die Schäfer auf Stelzen verschwanden. Die Stelzen allerdings blieben. Denn die Schäfer hatten schon früh begonnen, ihr sportliches Können dem Publikum vorzuführen, um ihren Berufsstand aufzuwerten und sich ein Zubrot zu verdienen. Sie nahmen an Stelzenwettläufen teil, bei denen der Sieger einen Preis in Form von Naturalien nach Hause tragen konnte.
Ende des 19. Jahrhunderts waren auch Marathonläufe auf Stelzen im Südwesten Frankreichs sehr beliebt. Frauen und Männer marschierten in ordentlichem Gewand von Bordeaux nach Biarritz oder von Arcachon nach Bayonne - Strecken von 300 Kilometern und mehr. Der Bäcker und leidenschaftliche Stelzenläufer Sylvain Dornon aus Arcachon wagte 1891 ein besonders ehrgeiziges Unternehmen: In 58 Tagen marschierte er auf Stelzen von Paris nach Moskau.
Doch nicht nur der Stelzensport war populär, sondern auch der Tanz auf den Stelzen fand Anhänger. Zahlreiche Folkloregruppen entstanden, die die traditionellen Tänze nun auf Stelzen erprobten. Auch Heute sind die stelzbeinigen Sportler und Sportlerinnen in den Landes keine Seltenheit: Mehr als 20 Folkloregruppen üben sich im Stelzenlauf und Stelzentanz. Der Film berichtet über diese junge Generation von "échassiers", die die Tradition ihrer Vorfahren mit Begeisterung und Leidenschaft weiterführt.
Ein Film von Christian Romanowski
© SWR Projektgruppe Multimedia 2010