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Kashif vermisst die Schule - Kinderarbeit in Pakistan

Kashif Sadiq sitzt auf einem kleinen Podest und schneidet tika boti (Stücke von Hammelfleisch) zurecht. Mit seinen dreizehn Jahren beherrscht er das Handwerk eines goshtwalla (eines Metzgers) schon perfekt: er kann Rinder, Ziegen oder Hühner ganz nach den Wünschen seiner Kunden auseinanderschneiden. Kashif arbeitet für seinen Vater in dessen Geschäft. "Mein Vater," sagt er, "hat auch schon früh angefangen zu arbeiten. Auch mein Großvater war goshtwalla und starb als mein Vater erst zehn Jahre war. Um den Lebensunterhalt für die Familie zu verdienen, lernte er den Beruf von anderen Metzgern."

Kashif war nicht glücklich über den Wunsch seines Vaters, er solle im Geschäft mitarbeiten. "Vor zwei Jahren, als ich anfing, wurde mir vom Geruch von Blut und rohem Fleisch noch schlecht. Damals war ich dafür verantwortlich, Hackfleisch zu machen. Wir hatten noch keinen motorbetriebenen Fleischwolf, also musste ich das Fleisch mit all meiner Kraft von Hand durchdrehen und hatte oft wunde Handflächen und Finger. Ich habe mir auch oft in die Hände geschnitten, wenn ich hath ka bana machen musste. Dabei schneidet man Fleisch mit einem scharfen Messer in sehr kleine Stücke und muss schnell und genau arbeiten. Ich habe meinen Vater oft gebeten, mich etwas anderes lernen zu lassen, aber er war sehr streng."

Kashifs Vater will, dass er die Familientradition fortsetzt, die ihm ein bescheidenes Einkommen sichert. Deshalb geht Kashif auch nicht mehr zur Schule. Eigentlich wollte er gerne Arzt werden, aber dieser Wunsch ist für ihn ein unerreichbarer Traum geworden. "Ich vermisse die Schule", sagt er.


Kashif gehört noch zu den glücklicheren der geschätzten drei bis acht Millionen Kinder in Pakistan, die arbeiten müssen und deren elementare Menschenrechte verletzt werden. Er hat zumindest die Aussicht auf ein eigenes Geschäft und ein gesichertes Einkommen. Doch viele Kinder arbeiten als Hausangestellte oder in Fabriken und in der Landwirtschaft, verkaufen Blumen, Ballons oder andere Kleinigkeiten am Straßenrand oder müssen Teppiche weben, um zum Unterhalt der Familie beizutragen. Zum Teil werden die Kinder aber auch von ihren Eltern an die Arbeitgeber verkauft, oft mit acht oder neun, manchmal sogar schon mit vier oder fünf Jahren. Die Auswirkungen auf die Gesundheit der Kinder sind gravierend. Vor allem beim Teppichweben, wo sie den ganzen Tag in gebückter Haltung vor dem Webstuhl sitzen, Wollstaub einatmen, sich die Hände durch die chemischen Mittel verletzen, mit denen die Wolle behandelt ist und ihre Augen überanstrengen, nehmen die Kinder oft großen Schaden für ihr ganzes Leben. Häufig werden sie geschlagen oder beschimpft und zehn oder elf Stunden Arbeit am Tag sind keine Seltenheit.


Die wichtigsten Gründe für die Kinderarbeit sind die Armut der Menschen und die Größe der Familien, deren viele Mitglieder ernährt werden müssen. Es gibt keinerlei soziale Absicherung und viele Menschen haben zwar Arbeit, verdienen aber nicht genug, um davon leben zu können.


In den Nachbarländern Indien, Bangladesh, Afghanistan, Nepal und Bangladesh ist die Situation ähnlich.


Es gilt zwar zwischen der Arbeit, die Kinder gemeinsam mit ihren Eltern auf dem Feld oder in deren Geschäft leisten und der Ausbeutung von Kindern beispielsweise in der Teppichindustrie und in Ziegelbrennereien zu unterscheiden. Für beide Fälle gilt jedoch, dass das Recht der Kinder auf Ausbildung und gesunde Entwicklung Vorrang haben und dafür die entsprechende Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit geschaffen werden muss. Allein durch die Verabschiedung zusätzlicher Gesetze ist dem Problem nicht beizukommen. Vielmehr müssen die bestehenden Gesetze umgesetzt und sozialer Druck sowohl auf die Unternehmer, die Kinder beschäftigen und ausbeuten, als auch auf die Eltern ausgeübt werden.


Die Friedrich-Ebert Stiftung hat bereits gemeinsam mit UNICEF und dem pakistanischen Ministerium für Arbeit einen Workshop veranstaltet, bei dem unter anderem über Möglichkeiten der besseren Anwendung der Gesetze diskutiert und Empfehlungen zur Wahrung der Rechte von Kindern ausgesprochen wurden. Dazu zählen die Einführung der allgemeinen Schulpflicht und die Schaffung der entsprechenden Infrastruktur. Die FES ist ferner Mitglied in einem Ausschuss, den das pakistanische Handelsministerium eingerichtet hat, um über Mechanismen nachzudenken, die sicherstellen, dass Teppiche ohne Kinderarbeit produziert werden. In einer Arbeitsgruppe verschiedener Geldgeber zum Thema Kinderarbeit, bei der die Stiftung ebenfalls mitwirkt, wird versucht, die Aktivitäten der einzelnen Organisationen zu koordinieren und einen gemeinsamen Standpunkt zu entwickeln. Die FES hat das pakistanische Fernsehen bei der Produktion eines Dokumentarfilms über Kinderarbeit in Pakistan beraten. Durch Vorträge über diese Problematik sowohl vor Arbeitgebern als auch Gewerkschaftern und durch Artikel in den führenden Tageszeitungen des Landes versucht sie, das Bewusstsein für die unterschiedlichen Aspekte der Thematik zu schärfen.


Sie leistet Politikberatung für das pakistanische Arbeitsministerium und Argumentationshilfen für die Gewerkschaften und hat unter anderem mit der Internationalen Konföderation der Freien Gewerkschaften (International Confederation of Free Trade Unions, ICFTU) Seminare veranstaltet, bei denen das Thema Kinderarbeit im Gesamtzusammenhang des pakistanischen Arbeitsmarktes erörtert wurde.


Fragen zum Text:


  1. Inwieweit hängen Armut und Kinderarbeit zusammen?
  2. Unter welchen Bedingungen leben diese Kinder?
  3. Welche Perspektiven haben sie - welche Perspektiven haben Kinder mit Schulbildung?
  4. Was lässt sich gegen Kinderarbeit unternehmen?
  5. Welche Ansätze dazu gibt es?

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