Hornussen - die Entstehung des Spiels
"Das Hurnußen ist nämlich eine Art Ballspiel, welches im Frühjahr und Herbst im Kanton Bern auf Wiesen und Äckern, wo nichts zu verderben ist, gespielt wird, an dem Knaben und Greise teilnehmen. Es ist wohl nicht bald ein Spiel, welches Kraft und Gelenkigkeit, Hand, Aug und Fuß so sehr in Anspruch nimmt als das Hurnußen (...) Dies Spiel ist ein echt nationales und verdient als eins der schönsten mehr Betrachtung, als es bisher gefunden hat. Daß es ein nationales ist, beweist das am besten, daß ein ausgezeichneter Spieler durch eine ganze Landschaft berühmt wird und die Spieler verschiedener Dörfer ordentliche Wettkämpfe miteinander eingehen, wo die verlierende Partei der anderen eine Ürti zahlen muß, das heißt ein Nachtessen mit der nötigen Portion Wein usw."
(Jeremias Gotthelf, Wie Uli der Knecht glücklich wird)
Hornussen ist eine "unschuldig Leibsübung" oder auch ein "schändlich Ding, ein unseelig Sonntagsvergnügen, das die Jugend verderbe und von der Predigt abhalte" So klang es von der Kanzel, verschieden je nach Zeitpunkt und Pfarrer.
Ganz sicher aber ist Hornussen ein traditionelles Schweizer Mannschaftsspiel, das besonders in der geographischen Mitte der Schweiz, zwischen Alpen und Jura, sehr beliebt ist. Wo die Ursprünge des Hornussen liegen, ist nicht ganz klar.
[Bild Vergrößerung] Möglicherweise handelt es sich um ein altes Kriegsspiel, das auf die Germanen zurückgeht. In der ganzen Schweiz hat man schon sehr früh dem Hornussen ähnliche Spiele gespielt, auch wenn die Spielnamen in den Quellen differieren. Als Heimat des Hornussen aber gilt das Emmental. Seit dem 17. Jahrhundert ist das Hornussen im Emmental feste Sitte und wird dort bis heute eifrig gespielt. Der Dichter Jeremias Gotthelf, der vor 200 Jahren dort Pfarrer war, hat in seinem Roman "Uli der Knecht", einem Entwicklungsroman über einen jungen Emmentaler, sowohl das Hornussen als auch die (früher) dazugehörigen Prügeleien ausführlich beschrieben.
Hornussen stellt eine Mischung von Mannschafts- und Einzelsport dar. Das Abtuen scheint wichtiger als das Schlagen, der gemeinsamen Erfolge stehen im Vordergrund. Individuelle und kollektive Leistung halten sich beim Hornussen die Waage. Manche sehen im Hornussen ein Sinnbild für die Schweizer Demokratie.
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"So trägt die Gesellschaft den Einzelspieler, der Einzelspieler wiederum die Gemeinschaft, ein wahrhaftes Beispiel gelebter Demokratie."
(Peter Baumgartner, Zentralpräsident des Hornusserverbandes)
Und tatsächlich hat kaum eine Sportart so früh alle Standes- und Berufsgrenzen überwunden, wie das Hornussen. Herr und Knecht spielten in der selben Mannschaft, waren ein Team. Das Hornussen eignet sich als Projektionsfläche für Schweizer Wertvorstellungen.
"Das Hornussen ist ein uraltes Kampfspiel, das die Verteidigung der Schweiz versinnbildlicht. Das Ries entspricht dem Vaterland, in welchem die mit Schindeln bewaffneten Abtuer, einander unterstützend, gegen die eindringende Gefahr kämpfen und sie zu besiegen trachten.Dabei müssen sich die Verteidiger des Landes immer wieder neu bewähren. Schon das kleinste Zeichen von Uneinigkeit in ihrem Kreis kann vom Gegner ausgenutzt werden. Ungehindert kann dann das kleine schwarze Geschoss zu Boden fallen und dort grossen Schaden anrichten. Sind sich die Abtuer jedoch einig, zeigen sie gegenseitiges Vertrauen und handeln sie rasch und entschlossen, so gelingt es ihnen ohne Mühe, alle Angriffe abzuwehren und das Vaterland sowohl vor dem Eindringen gefährlicher, fremder Ideen als auch vor allem Schlechten und Wertlosen zu schützen"
So patriotisch sah man 1968 in der Hornusserzeitung das Hornussen.
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Bis heute wird der urtümliche, traditionelle Charakter des Spiels gerühmt. Hornussen gilt als Ausdruck echten Schweizertums und auch in den 80er Jahren schlägt der Hornusseverband noch vaterländische Töne an.
"Es ist ein Spiel des Volkes, gewachsen aus dem Volk, von ihm geprägt und von ihm getragen, natürlich, ursprünglich, unverdorben. Hornussen ist ein Spiel auf der eigenen Scholle. Auf dem Boden, der uns ernährt, wechseln in strenger Folge Arbeit und Spiel."
Allerdings sind die Schweizer schon längst kein Volk von Hirten, Bauern und Jodlern mehr. Das klassische Schweizbild wirkt auf viele Eidgenossen mittlerweile fremd, eine überkommene, lebensferne Ideologie. Die Schweiz ist keine Alpenidylle, sondern ein moderner, zunehmend weltoffener Staat, in dem "fremde Ideen" nicht mehr das Böse schlechthin symbolisieren.
Die heutigen Hornusser, die im Film vorgestellt werden, spielen vor allem zum Spaß. Bei aller Heimatverbundenheit scheinen sie ein recht entspanntes Verhältnis zur patriotischen Bedeutung ihres Spiels zu haben. Wichtiger ist ihnen das Verbindende beim Hornussen, das Gemeinschaftserlebnis und die sportliche Leistung. "Sechzehn und Sechzigjährige spielen gemeinsam - es gibt keine Altersgrenzen", sagt einer der Hornusser. Drei Generationen im selben Team sind keine Seltenheit.
Die Freizeitindustrie und die modernen Sportarten haben auch vor dem Emmental nicht Halt gemacht.
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Das Hornussen hat es nicht leicht, sich gegen die Konkurrenz von Fußball, Schwimmverein, Tennisclub, usw. durchzusetzen und muss sich daher ganz besonders um die Förderung des Nachwuchses kümmern.
Es gibt spezielles Kinder- und Jugendtraining und es wird versucht, den alten Sport für Schüler attraktiv zu machen.
Auch Frauen spielen jetzt mit und erobern sich ihren Platz in der traditionell männlichen Domäne. "Die Männer haben uns herausgefordert - das ist doch nichts für Frauen, haben sie gesagt. Jetzt wollen wir es auch wissen", sagt eine selbstbewusste Hornusserin. Beim Jugendtraining machen viele Mädchen mit und an den Anblick weiblicher Schläger, Abtuer und Schiedsrichter scheinen sich die Männer langsam zu gewöhnen.
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Sogar Jodeln, "die Gesangsart aus den Bergen",wie eine Jodellehrerin es nennt, ist schon längst keine reine Männersache mehr. In Schweizer Chören jodeln Frauen wie Männer, viele Frauen treten als Jodel-Solistinnen auf.
Das Hornussen ist mittlerweile dabei, sich vom dörflichen Sonntagsspiel zu einem echten Leistungssport zu entwicken, mit Wettkämpfen, kontinuierlichem Training und athletischer Mentalität. Durch den Anschluss an den Schweizer Landesverband für Sport hat Hornussen jetzt ganz offiziell den Rang einer Sportart.
Die Hornusser bedauern, dass ihre Meisterschaften hauptsächlich auf die Schweiz beschränkt sind und es wenig internationale Konkurrenz gibt. Allerdings gibt es mittlerweile auch im Ausland einige Hornusserverbände, sogar in Südafrika gibt es eine Mannschaft. Meist allerdings sind sie von Exilschweizern gegründet.
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