Getreidepflanzen sind für die menschliche Ernährung unverzichtbar
E. Oppermann
Ab einem bestimmten Zeitpunkt in der menschlichen Geschichte schien die Entwicklung der Landwirtschaft und der Sesshaftigkeit unvermeidbar gewesen zu sein. Jedenfalls kennt man heute mindestens ein halbes Dutzend Regionen auf der Erde (Naher Osten, Indus-Tal etc.), in denen unabhängig voneinander Tiere domestiziert und verschiedene Pflanzen gezüchtet und angebaut wurden. Dies führte zu einem besseren Nahrungsangebot, veränderte aber auch die Gesellschaftsordnung grundlegend. Ein Nomade entwickelt kaum einen tieferen Bezug zu seiner unmittelbaren Umwelt, verlässt er sie doch allzu bald wieder. Ein sesshafter Mensch aber bewohnt ein Territorium, das es gegen andere zu verteidigen gilt. Gut möglich, dass in dieser Phase der Menschheitsentwicklung der Begriff des persönlichen Besitzes zum ersten Mal eine größere Rolle spielte.
So bedeutsam, so einschneidend waren die Umbrüche in der menschlichen Lebensweise und in der gesellschaftlichen Kultur, dass der Wechsel von der jagenden zur bäuerlichen Lebensweise vor etwa 11.000 Jahren als "Neolithische Revolution" bezeichnet wurde und den Beginn der Jungsteinzeit (Neolithikum) markiert.
Eine Voraussetzung für den Wandel waren sicher die klimatischen Veränderungen am Ende der letzten Eiszeit, die den Planeten zuvor für viele Jahrtausende fest im Griff hatte. Als vor etwa 12.000 Jahren die Gletscher begannen sich zurückzuziehen, wurde es auf der Erde allmählich feuchter und wärmer. Durch den Rückzug des Eises wurde es auch für die Jäger und Sammler zunächst einfacher, weil sie mehr Wild zur Verfügung hatten und eine größere Zahl von Wurzeln und Beeren sammeln konnten. Sicher stiegen daher auch die Bevölkerungszahlen an. Möglicherweise war es diese Zunahme der Bevölkerung, die den Anstoß zur Sesshaftigkeit und dem Beginn der Landwirtschaft gegeben hat. Denn mit dem Anbau von Getreide lassen sich viel mehr Menschen ernähren als mit der Jagd. Der Anbau von Pflanzen macht den Menschen, günstige klimatische Verhältnisse vorausgesetzt, auch unabhängiger von den Zufälligkeiten seiner Umwelt. Jagdwild steht nicht immer in gleichem Maß zur Verfügung, und um genügend Wildpflanzen zu finden, müssen große Gebiete abgesucht werden.
Mit der Sesshaftigkeit lohnte sich auch der Bau von besseren Behausungen, die nicht jede Saison abgebaut oder aufgegeben werden mussten. Damit konnte die Gemeinschaft besser gegen klimatische Einflüsse oder sogar gegen feindliche Stämme geschützt werden. War einmal eine halbwegs zuverlässige Nahrungsversorgung sichergestellt, war der Weg frei für eine umfangreiche Arbeitsteilung. Während einige Mitglieder der Gesellschaft für die Produktion von landwirtschaftlichen Gütern zuständig waren, kümmerten sich andere um den Bau von Häusern oder Hütten und Lagerräumen. Auch Werkzeugherstellung, das Nähen von Kleidern oder die Vorratshaltung wurde möglicherweise mehr und mehr das Handwerk von Spezialisten.
Allzu leicht aber dürfte das Leben für die ersten bäuerlichen Kulturen nicht gewesen sein. Die wenigen Zeugnisse, die wir aus dieser Zeit vom jungsteinzeitlichen Menschen besitzen, belegen auch die negativen Folgen für deren Gesundheit. Die durchschnittliche Körpergröße nahm ab und die Zahl der Krankheiten zu, möglicherweise auch in Folge des engeren Zusammenlebens in den immer größer werdenden Gruppen. Die Sesshaftigkeit hatte auch zur Folge, dass es nicht mehr so einfach war, in ungünstigen Zeiten in andere Gebiete auszuweichen. Auf der anderen Seite konnte man nun Vorräte anlegen, die ja nicht ständig mitgeführt werden mussten, nicht nur an Nahrung, sondern auch an Werkzeugen und Keramik.
Wilde Gräser, Wurzeln und Früchte wurden vom Menschen seit jeher genutzt. Die Grundlagen der Vermehrung bei diesen Pflanzen waren unseren Vorfahren mit Sicherheit vertraut. Trotzdem war es ein großer Schritt, gezielt Samen dieser Pflanzen zu säen, deren Produkte erst viel später genutzt werden konnten. Diese Methode geht erst einmal mit einem Verzicht einher, dem Verzicht auf sofortige Verwertung der Körner. Um erfolgreich pflanzen und ernten zu können, ist also vorausschauende Planung nötig, schließlich benötigt man von der Ernte wieder einen Teil für die nächste Aussaat, auf den auch in Notzeiten nicht zurückgegriffen werden darf.
Den ersten Nachweis für landwirtschaftliche Methoden haben Archäologen in Bereich des "Fruchtbaren Halbmonds" entdeckt. So wird jene Region genannt, die sich in einem weiten Bogen vom Persischen Golf im Osten über die Südtürkei bis nach Israel im Westen spannt. Hier herrschten vor 11.000 Jahren ideale Bedingungen für den Getreideanbau. Aus Anatolien und Syrien sind Getreidekörner mit einem Alter von 10.500 Jahren bekannt. Benutzte man zunächst Wildgetreide, begann man sehr rasch, solche Pflanzen auszuwählen, die gewünschte Eigenschaften vermehrt zeigten. Die Zucht hatte begonnen, erst bei den Pflanzen, später bei den Tieren.
Bis zu unseren heutigen Weizensorten war es ein weiter Weg
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Ein wichtiger Schritt in der Landwirtschaftsgeschichte war der gezielte Anbau von Wildgetreide, wodurch man die gewünschte Pflanze auf ein Gebiet konzentrierte und eine größere Menge ernten konnte als durch einfaches Sammeln zu erhalten war. Doch wilde Getreidesorten haben entscheidende Nachteile gegenüber den späteren Zuchtformen. Nicht nur erbringen sie viel weniger Ertrag als ihre Zuchtformverwandten, die Spindel der schlanken Ähre zerbricht bei ihnen sehr leicht, die Körner fallen einzeln zu Boden. Für die Wildpflanze ist dies für ihre Verbreitung sinnvoll, denn die einzelnen Körner verfangen sich mit ihren Grannen leicht im Fell oder Gefieder von Tieren und können so weit verbreitet werden. Für die Ernte ist diese Eigenschaft denkbar unerwünscht, schließlich wäre es sehr mühsam, die einzelnen Körner vom Boden zu klauben.
Ein erster Zuchterfolg gelang den frühen Bauern daher mit der Auswahl von solchen Exemplaren ihrer Getreidepflanzen, deren Körner auch nach der Reife mit den Ähren fest verbunden blieben und erst beim Dreschen von diesen getrennt wurden. Bis zu den heutigen Hochleistungssorten des Saatweizens war es aber noch ein weiter Weg.
Der älteste vom Menschen genutzte Wildweizen ist das Wild-Einkorn (Triticum boeoticum). Überreste dieser Pflanze wurden in alten Siedlungen in Jericho und Syrien entdeckt - mit einem Alter von über 11.000 Jahren! Kulturpflanze wurde das Einkorn (Triticum monococcum) spätestens im 7. vorchristlichen Jahrtausend. Es weist bereits eine höhere Spindelfestigkeit auf, lässt sich also leichter ernten. Durch gezielte Zucht entstanden Sorten mit vierfachem und sogar sechsfachem Chromosomensatz (Chromosomen = Träger der genetischen Erbinformation), dadurch änderten sich auch die Eigenschaften der Getreidesorten.
Die ersten Weizenarten mit sechsfachem Chromosomensatz entstanden vermutlich bereits vor knapp 7000 Jahren. Heute dominiert mit dem Saat- oder Weichweizen (Triticum aestivum) ebenfalls eine Art mit sechsfachem Chromosomensatz. Er besitzt Eigenschaften, die ihn für die Landwirtschaft und die Nahrungsmittelindustrie besonders interessant machen. Die Ähren brechen erst beim Dreschen, die Körner sind mit den Hüllblättern (Spelzen) nicht fest verwachsen und das Korn enthält genau die richtige Menge Gluten (Klebereiweiß), um optimale Backeigenschaften zu gewährleisten. Beim Dinkel (Triticum spelta), einer weiteren Weizenart mit sechsfachem Chromosomensatz, sind die Spelzen fest mit dem Korn verwachsen und müssen aufwendig von ihm getrennt werden, weshalb der Dinkelanbau weniger weit verbreitet ist. Der Hartweizen (Triticum durum) enthält besonders viel Klebereiweiß. Er ist zwar nicht so ertragreich wie der Saatweizen und braucht relativ viel Wärme zum Wachstum, ist aber optimal geeignet zur Nudelherstellung, da er die Nudeln in Form hält und für den richtigen "Biss" sorgt.
Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts arbeiteten 38% der Erwerbstätigen Deutschlands in der Landwirtschaft. Damit war die Landwirtschaft der größte Arbeitgeber, dicht gefolgt von der Industrie. Heute sind nur noch zwischen 2 und 3 Prozent der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft beschäftigt. Gleichzeitig hat sich die Zahl der Menschen, die von einem Landwirt mit Lebensmitteln versorgt wird, vervielfacht. Um 1900 erzeugte ein Bauer genügend Lebensmittel für vier Menschen, heute reichen die Agrarerzeugnisse nur eines Landwirts im Durchschnitt für 134 Mitbürger. Diese enorme Leistungssteigerung war nur durch einen gewaltigen technologischen Fortschritt möglich. Mit bedeutsamen Folgen für unsere Gesellschaft und unsere Umwelt.
Die wichtigsten Veränderungen in der Landwirtschaft in den letzten hundert Jahren betreffen:
• den vermehrten Einsatz von Maschinen
• die Entwicklung immer effektiverer Pflanzenschutzmittel und Insektizide
• die Züchtung von Hochleistungssorten
Die meisten Tätigkeiten in der Landwirtschaft mussten in früheren Zeiten von Hand gemacht werden, der wichtigste Grund, warum so viele Menschen in diesem Wirtschaftszweig beschäftigt waren. Heute übernehmen Maschinen das Aussäen, das Versprühen von Pestiziden oder Dünger und schließlich auch die Ernte. Und die Maschinen werden immer größer. Weil dadurch die Arbeit viel schneller und effektiver erledigt werden kann, verloren in der Folge viele Menschen ihren Arbeitsplatz.
An einem Beispiel sollen die dramatischen Umwälzungen in der Landwirtschaft deutlich gemacht werden. Verfolgen wir einmal den Weg des Korns zum Brot vor etwa 100-200 Jahren. Beginnen wir der Einfachheit halber mit dem reifen Korn, obwohl sich natürlich auch beim Pflügen der Äcker und bei der Aussaat des Korns technisch sehr viel getan hat.
War also das Korn reif, begann die Ernte. Da noch keine Maschinen eingesetzt wurden, mussten für die Ernte sehr viele Arbeiter eingesetzt werden. Gemäht wurde mit Sicheln und Sensen, eine äußerst schweißtreibende Arbeit. Die abgemähten Halme wurden dann von Garbenbindern zu Garben gebunden und zum Trocknen aufgestellt. Waren die Garben trocken, wurden sie zum Hof gebracht, um sie zu dreschen. Das Dreschen sollte die Körner aus den Ähren bringen und wurde mit Dreschflegeln durchgeführt, bestehend aus einem Holzstiel und einem beweglichen Flegel, der aus Hartholz gefertigt wurde. Das Getreide wurde auf dem Boden der Scheune oder eines extra eingerichteten Dreschplatzes ausgebreitet und mit den Dreschflegeln "geschlagen", bis die Körner aus den Ähren getrieben waren. Anschließend wurde "die Spreu vom Weizen getrennt", also die eigentlichen Körner von den umgebenden Samenhüllen und Halmbestandteilen getrennt. Im einfachsten Fall warf man dazu das ausgedroschene Getreide mit einer Schaufel oder einem Korb in den Wind, der die leichten Hüllbestandteile und Halme wegwehte, während die schwereren Körner nach unten zurückfielen. Dieser Vorgang wird auch als Worfeln bezeichnet.
All diese Arbeitsschritte erforderten viel Zeit und viele Hände. Allein zum Mähen und Garbenbinden des Getreides von zwei Hektar Land benötigte damals ein Dutzend Arbeiter einen ganzen Tag, das Dreschen und Worfeln noch nicht eingerechnet. Heute erledigen große Mähdrescher das Mähen, Dreschen und Worfeln selbst und pressen das anfallende Stroh noch automatisch zu Ballen. Die Körner werden von Zeit zu Zeit auf parallel fahrende Wagen übertragen. Zum Mähen und Dreschen von zwei Hektar Getreide braucht ein moderner Mähdrescher heute nicht mal eine Stunde - mit nur einem Fahrer. Viele Arbeitsplätze gingen damit in der Landwirtschaft verloren, doch machten diese Veränderungen erst die gewaltigen Produktionssteigerungen unserer Lebensmittel möglich. Doch die Effektivität, mit der wir inzwischen die Landwirtschaft betreiben, hat auch negative Folgen für die Umwelt.
Dieser Anblick einer Kartoffelkäferlarve verheißt nichts Gutes für den Bauern
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Überall, wo sich viele Lebewesen auf engem Raum konzentrieren, wächst die Gefahr von Krankheiten und Parasitenbefall. Unsere Feldfrüchte machen da keine Ausnahme. Für einen Getreideschädling ist ein großes Feld voller Weizen ein Schlaraffenland, das so in freier Natur nicht vorkommt. Entsprechend groß sind die Schäden, die er verursachen kann. Nicht selten wurde in früheren Zeiten ein bedeutender Anteil der Ernte von Schädlingen vernichtet, manchmal mit verheerenden Folgen für die Bevölkerung. Hungersnöte oder das Ausbrechen von Krankheiten waren im Mittelalter und selbst an der Schwelle zur Neuzeit keine seltenen Ereignisse. In Irland z. B. führte der Befall der Kartoffelpflanzen durch den Kartoffelkäfer Mitte des 19. Jahrhunderts zum Tod und zur Auswanderung hunderttausender Menschen. Der chemischen Industrie gelang vor allem im 20. Jahrhundert die Entwicklung hochwirksamer Pflanzenschutzmittel, die tierische Schädlinge, Pilze oder Unkraut bekämpfen. Leider oft mit verheerenden Folgen für die Umwelt. Auch viele unschädliche Arten, die gar nicht getroffen werden sollen, gehen zugrunde.