Sacco & Vanzetti – Weltweite Solidarität für zwei Anarchisten
Der Krieg ist vorbei, aber Krisen sind allgegenwärtig. Fehlende demokratische Traditionen und instabile Verhältnisse gefährden in vielen Staaten die Demokratie, der man sich nominell verpflichtet hat. Die wirtschaftliche Lage ist für viele Menschen in Europa, aber auch in den USA prekär. Das, von Einwanderern aufgebaute Land, schottet sich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs vom Rest der Welt ab; Zukunftsängste und Unsicherheit sorgen für eine Stimmung, die sich auch gegen Immigranten wendet, die pauschal als Unruhestifter, Radikale und potentielle Terroristen verdächtigt werden. Das zeigt sich besonders markant im Fall der italienischen Einwanderer Nicola Sacco (*1891) und Bartolomeo Vanzetti (*1888). Die beiden Anarchisten und Kriegsdienst-Verweigerer werden wegen ihrer angeblichen Beteiligung an einem Raubmord angeklagt. Der Prozess, den viele Beobachter für politisch motiviert halten, erregt weltweit Aufsehen. Obwohl die Indizien mehr als fragwürdig sind, werden die beiden 1921 zum Tod verurteilt.
KPD: Größte Demo in der Weimarer Republik
In Frankreich und Italien zeigen zehntausende Demonstranten ihre Solidarität mit den Anarchisten, Hunderttausende unterzeichnen Petitionen für eine Aussetzung der Urteilsvollstreckung. Dennoch werden Sacco und Vanzetti 1927 hingerichtet. Am Tag danach finden überall in Deutschland Kundgebungen statt. In Berlin folgen etwa 150.000 Menschen dem Aufruf der KPD zu einer der größten Demonstrationen der Weimarer Republik.
Aufstand für die Hungernden und Unterdrückten
Sacco und Vanzetti werden 1977 durch den Gouverneur von Massachusetts postum rehabilitiert; zahlreiche Lieder, Filme und Bücher machen die Männer zu Legenden. Auch May Picqueray (*1898) radikalisiert sich unter dem Eindruck des drohenden Todesurteils gegen ihre amerikanischen Gesinnungsgenossen und verübt – „Propaganda der Tat“ – 1921 ein Attentat auf die amerikanische Botschaft; die Granate dafür hatte sie auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges gefunden. Dabei gibt es – dank glücklicher Umstände – keine Todesopfer, der Sachschaden ist groß. May erreicht ihr Ziel, die bis dato desinteressierten, großen französischen Zeitungen auf den Prozess aufmerksam zu machen.
Als sie 1922 als Vertreterin der Metallarbeiterföderation zum Kongress der "Roten Gewerkschafts-Internationale" nach Moskau reist, lernt sie die grausamen Lebensbedingungen der Menschen im Winter 1922 kennen, ihren Hunger und ihre Angst vor Repression. Sie besucht illegal im Untergrund lebende Anarchisten und äußert lautstark ihre Enttäuschung über den Verlauf der Revolution; bei einem Gala-Diner springt sie auf den Tisch und protestiert wütend gegen die Völlerei der Delegierten, wo im Land doch Hunger herrsche. Nach Konferenzende bittet sie Leo Trotzki – erfolgreich - um die Freilassung zweier inhaftierter Anarchisten.
Politische Kämpfe in Deutschland
In Deutschland engen die Folgen des verlorenen Krieges den Gestaltungsspielraum der wechselnden Regierungen ein. Das ist zum einen die so genannte Weimarer Koalition aus SPD, katholischer Zentrumspartei und linksliberaler DDP (Deutsche Demokratische Partei), zum anderen sind es bürgerliche Minderheitsregierungen aus Zentrum, DVP (Deutsche Volkspartei), DDP und kleineren Parteien, die von SPD oder DNVP (Deutschnationale Volkspartei) toleriert werden. Die Rechte, die bei der Reichswehr und der Justiz den Ton angibt, agitiert gegen den Versailler Vertrag, insbesondere gegen den „Kriegsschuldartikel“ und die Repräsentanten der Weimarer Republik, die als „Erfüllungspolitiker“ verunglimpft werden. Ausdruck der revanchistischen Kampagne sind die, von rechtsradikalen Tätern verübten, Morde an Matthias Erzberger (1921), der den Waffenstillstand von Compiègne unterzeichnet hatte, und Außenminister Walter Rathenau (1922), sowie ein fehlgeschlagenes Attentat auf den Sozialdemokraten Philipp Scheidemann (1922).
Der Kapp-Putsch bringt das Land 1920 an den Rand eines Bürgerkriegs. Als Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) verfügt, den Personalbestand der Reichswehr – wie im Versailler Vertrag gefordert – zu reduzieren und die etwa 120 Freikorps aufzulösen, putschen antidemokratisch gesonnene Armee-, Marine- und Reichswehr-Angehörige, DNVP-Mitglieder und Generäle, die ihre politische Macht gefährdet sehen, und zwingen die sozialdemokratischen Minister zur Flucht aus Berlin. Der Putsch scheitert am größten Generalstreik der deutschen Geschichte, der alle Bereiche des öffentlichen Lebens und der öffentlichen Versorgung lahmlegt.
Erfolg und Krise der KPD in der Weimarer Republik
Gewalttätige Auseinandersetzungen bleiben an der Tagesordnung. Hunderte Menschen sterben, als die Reichswehr kommunistische Umsturzversuche im Ruhrgebiet (1920) und in Mitteldeutschland (1921) niederschlägt. Zwar scheitert der Hitler-Putsch 1923 in München, aber rechte Parteien erstarken. Die KPD gerät in die Krise.
Der Kommunist Hans Beimler (*1895) kämpft 1919 in seiner Geburtsstadt für die Münchener Räterepublik, aber das Experiment, an dem sich pazifistische Schriftsteller wie Ernst Toller, Gustav Landauer und Erich Mühsam beteiligen, wird von Freikorps’ und regulärer Armee nach vier Wochen blutig beendet; der bayerische Ministerpräsident Kurt Eisner wird ermordet. Beimler wird kurzzeitig verhaftet und arbeitslos. Während er versucht, sein Leben als Familienvater und seine Arbeit als Maschinenschlosser mit dem Einsatz für die Revolution zu vereinen, gerät er in Fraktionskämpfe innerhalb der KPD, wird Partei- und Gewerkschaftsfunktionär, 1921 wegen der Vorbereitung eines Anschlags auf einen Truppentransport verhaftet und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt.
Die zeitweise verbotene KPD gerät nach 1924 in immer größere Abhängigkeit von Moskau, wächst aber kontinuierlich. Im November 1932 votieren annähernd sechs Millionen Wähler für die Partei. Beimler besucht die Sowjetunion, sitzt ab 1929 für die KPD im Stadtrat von Augsburg und von 1932 bis 1933 als Abgeordneter im Reichstag. Seine erste Frau stirbt 1928 durch Selbstmord.
Berlin als Film- und Party-Metropole
Während die einen unter Hunger, Arbeitslosigkeit, wirtschaftlicher Not und Unsicherheit leiden, Bettelei für viele verkrüppelte Kriegsheimkehrer die einzige Art der Existenzsicherung und die Säuglingssterblichkeit mit 14 Prozent die höchste in Europa ist, boomt in Berlin die Unterhaltungsindustrie. Die liberale und vibrierend lebendige Metropole fasziniert kreative Köpfe aus der ganzen Welt. Die Unruhe setzt Kräfte frei. Kunst, Kultur und Wissenschaft blühen auf, in Experimenten aller Art wird die Zukunft erprobt. Der Mythos von den „Goldenen Zwanzigern“, die sich auf die wirtschaftlich stabilen Jahre 1924 bis 1929 beschränken, hat hier seinen Ursprung. Das attraktive Nachtleben setzt Maßstäbe, das junge Medium Film lockt die Massen. In Deutschland werden in den 1920er und 1930er Jahren mehr Filme produziert, als in allen anderen europäischen Staaten zusammen. In keinem anderen Land Europas gibt es mehr Kinos, ihre Zahl steigt zwischen 1918 und 1930 von 2300 auf 5000. Täglich gehen zwei Millionen Menschen in die Kinos.
Von Hollywood nach Berlin: Filmindustrie in den 1920ern
Einer der größten Stars des Stummfilms ist die aus Polen stammende Pola Negri (*1897 als Apolonia Chalupiec). Ihre Zusammenarbeit mit dem Regisseur Ernst Lubitsch („Carmen“; „Madame Dubarry“) macht sie berühmt, sie genießt ihren Ruhm bis sie ins Fadenkreuz der ausländerfeindlichen, rechten Presse gerät. Auf dem Höhepunkt ihres Erfolges geht sie 1922 nach Hollywood, wo sie ein glamouröses Leben führt, nach anfänglichen Erfolgen in den neuen Tonfilmen aber kaum noch besetzt wird, da ihr starker Akzent die Zuschauer irritiert. Wegen finanzieller Schwierigkeiten geht sie zurück nach Deutschland, wo das NSRegime ab 1935 versucht, sie für seine Propagandafilme zu instrumentalisieren. 1941 kehrt sie über Frankreich in die USA zurück, wo sie nur noch wenige Filme dreht und als Grundstücksmaklerin Erfolg hat.