Als György Ligeti sein Musikstudium in Budapest beendet hatte, kehrte er für ein Jahr in seine rumänische Heimat zurück. Am Folklore-Institut in Bukarest lernte er, wie man durch das bloße Hören rumänische Volkslieder identifiziert und notiert. Daneben reiste er durchs Land. Besonders interessant wurden entlegene Orte für ihn, also die kleinen Dörfer in oft sehr dünn besiedelten Regionen. Denn hier fand er Melodien mit einer sehr alten Geschichte. Ligeti machte es sich zur Aufgabe – so wie sein großes Vorbild Béla Bartók einst – diese Lieder zu sammeln und durch das Aufzeichnen in Notensprache vor dem Vergessen zu bewahren.
Obwohl Siebenbürgen, die Region in der Ligeti aufgewachsen war, inmitten von Rumänien liegt, wurde es von einer ungarischen Minderheit besiedelt. Deshalb war Ligetis Muttersprache auch Ungarisch. Die rumänische Sprache lernte er erst später auf dem Gymnasium. Doch schon als Kind ging von ihr "etwas Geheimnisvolles" aus, fand Ligeti, genauso wie von der rumänischen Musik selbst. "Viele Melodien blieben in meinem Gedächtnis haften" – und wurden 1951 schließlich zum Ausgangspunkt für sein Orchesterwerk Concert Românesc
Zutiefst dem Volk verbunden und trotzdem politisch inakzeptabel
Obwohl Ligeti überzeugt davon war, dass er mit seinem durch und durch volksnahen Werk den strengen Regeln der damaligen Kulturpolitik entkommen würde, wurde das Concert Românesc noch vor seiner Premiere verboten und erst 20 Jahre später, 1971, erstmals aufgeführt. Wie das kam? Blättern wir dafür einmal im Geschichtsbuch zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg standen viele osteuropäische Länder unter sowjetischem Einfluss. Das heißt, dass sich die Regierungen von Ländern wie Rumänien oder Ungarn stark an der Politik der damaligen Sowjetunion orientierten. An dessen Spitze stand Josef Stalin, der sich in Sachen Kultur zwar dafür einsetzte, dass alle im Land einen Zugang zu ihr bekamen, doch hatte er eine ganz eigene Vorstellung davon, wie diese Kultur zu sein hatte, nämlich "in ihrer Form national und in ihrem Inhalt sozialistisch". Übersetzt bedeutete das: Sie sollte einzig und allein dem Volk dienen. In der Sowjetunion berief Stalin sogar den "Nationalen Verband sowjetischer Komponisten" ein, der fortan darüber entschied, welche Werke veröffentlicht werden durften und welche nicht.
Ligetis Concert Românesc wurde schließlich als politisch inkorrekt eingestuft, da er darin Dissonanzen verwendet hatte. Das sind Töne, die manchmal schief klingen, weil sie so eng beieinander liegen. Da sie jedoch fest in der rumänischen Folklore verankert sind, konnte Ligeti nicht auf sie verzichten. Aber, so Ligeti selbst: "In der stalinistischen Diktatur war selbst Folklore nur in politisch korrekter Form erlaubt, zurechtgebogen nach den Normen des sozialistischen Realismus."
Tanz in die Freiheit
Das Concert Românesc besteht aus vier Sätzen, die sich ohne Pause aneinanderreihen. Denkt man die Teile eins und zwei sowie drei und vier als Einheit, so ergibt sich daraus eine typische ungarische Tanzform mit einem langsamen, sehr melodischen ersten Satz und einem schnellen, sehr lebhaften und rhythmischen zweiten Satz. Damit verbindet Ligeti seine zwei Heimatländer: Er nimmt die Melodien Rumäniens und gießt sie mit Hilfe der ungarischen Tanzmusik in eine Form.