Geschichte
Bei der Weltausstellung von Chicago im Jahr 1893 hielt Frederick Jackson Turner, Professor für Geschichte an der Universität von Wisconsin, einen Vortrag, der das Bild der Amerikaner von sich selbst tief beeinflussen sollte. Seine These: "Die Geschichte Amerikas war bis heute weitgehend die Geschichte der Kolonisierung des Westens." Die Eroberung des "Wilden Westens" schaffe einen "neuen Menschen". Der Charachter der Amerikaner werde tiefgreifend verändert, auf dem Trek nach Westen werde der für Amerika so typische Grundcharakter herangebildet, der "dominierende Individualismus, zum Guten und zum Bösen." Das Bild des "Wilden Westens" ist ein grundlegend männliches Bild: Die Unterwerfung von Eingeborenen und Natur war das Ziel. Eine von Gott gegebene Chance, Großes zu leisten, sei das Schicksal des Amerikaners - "Manifest Destiny" nannte das Turner. Seither wird diese These von Historikern in Amerika unermüdlich diskutiert.
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Auf dem Trek nach Westen gingen aber auch Frauen mit. Sie werden in den Geschichtsbüchern so gut wie gar nicht erwähnt. Dabei waren es fast so viele wie Männer (außer an der Goldgräber-Front). Viele hinterließen Briefe und Tagebücher, die von der Geschichtsschreibung lange ignoriert wurden, und bis in die 70er Jahre wurde in US-Schulbüchern der Trek nach Westen fast ausschließlich als Tat der Männer beschrieben. Doch zahlreiche Quellen widerlegen dies: Gerade in Gegenden, in denen sich Pioniere als Bauern niederließen, bestand die Bevölkerung (1830-1860) zu einem Drittel aus Kindern unter zehn Jahre alt. Frauen jeden Alters bildeten 44 Prozent der Bevölkerung, Männer über 20 aber nur 28 Prozent.
Die Tagebücher von damals und neue Untersuchungen bilden ein faszinierendes Bild: Die Eroberung des Westens, die den "neuen Menschen" schuf, bildete offensichtlich auch eine "neue Frau" heran, die Respekt forderte und erhielt. "Mein Mann muss für mich sorgen und mir angenehm sein. Ist er's nicht, dann gibt's genügend andere, die seinen Platz einnehmen können," schrieb etwa eine forsche Pionierin. Die soziale Herkunft der Frauen war, wie die ihrer Männer, die Mittel- und Oberklasse, denn die Reise der Pioniere war teuer. Daraus ergaben sich zwei Probleme für die Frauen: Frauen, die Hausangestellte gewohnt waren, mussten plötzlich in der Wildnis kochen und backen und waschen und gebären, weil sie dem Traum ihrer Männer gefolgt waren. Aber auch die Einsamkeit in der Einöde machte ihnen zu schaffen: Im 19. Jhd. lebten bürgerliche Frauen ohnehin weitgehend von der Männerwelt getrennt, zur Unterhaltung mussten sie sich selbst genügen. Alleine auf der Farm war es schwer, einen Kreis von Freundinnen aufzubauen, und manche Tagebücher sind voller Klagen über die Einsamkeit, aber auch von Berichten über lange Reisen zu den oft tagelange Ritte entfernten Nachbarn.
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Die Geschichte der Frauen im Westen besteht aber nicht alleine aus Leiden. Moderne Historikerinnen widerlegen das Bild der Frau als Opfer. Sicher waren es die Männer, die meist den Anstoß für die Reise gen Westen gaben, getrieben von Abenteuerlust oder vom Traum neuen Reichtums. Viele zogen aber auch aus Not in den Westen. In der Wirtschaftskrise von 1837-39 sackten die Löhne um 30-50%. In New York gab es 200.000 Arbeitslose, in Philadelphia führte die Armut zu gewaltigen Demonstrationen. Unzählige Frauen nahmen deshalb auch aktiv Anteil am Beschluss, im Westen ein neues Leben zu suchen.
Am "frontier" wuchs ein neuer Frauentypus heran: stark, selbstbewusst, unabhängig. Auf der Ranch standen sie ihren Mann genausogut wie ihre Ehegatten: Reiten, Viehtreiben, Kälber mit dem Lasso einfangen, all dies lernten sie von klein auf. Die überlieferten Ansichten über den Haushalt, über Arbeitsteilung und die Rolle der Frau waren auf der "cattle frontier" nicht aufrecht zu erhalten. "Frauen waren überall dort, wo die Männer auch waren," schreibt eine Historikerin. Die Frauen hatten auch ihre eigene Meinung über die neue Welt im Westen. Ihre Briefe und Tagebücher zeigen, dass sie der Natur viel näher standen, sie erkannten mehr, als etwa bloß den Nutzwert der Bäume. Und trotz aller Gräuelmärchen über die Untaten der Indianer waren sie oft viel offener für Kontakte mit den Ureinwohnern, für Tauschgeschäfte oder sogar Besuche als Nachbarn.
Der "neue Mensch" war also durchaus aus eine "neue Frau". Und es schient nur eine logische Folge zu sein, dass sich die Frauen an dieser Front, 1870 in Wyoming, als erste das Wahlrecht sicherten. Noch vor den seit Jahren organisierten Suffragetten im Osten des Landes.
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