Der Nationalismus und die ETA
Die ideologischen Grundlagen des Nationalismus gehen auf Sabino Arana zurück, den Gründer der Baskischen Nationalpartei (1895). Arana propagierte eine Rückkehr zu den traditionellen Formen baskischen Lebens, gestützt auf die mittelalterlichen Fuero-Regelungen und Unabhängigkeitsrechte. Er forderte eine Gesellschaft freier Bauern "baskischer Rasse". Das Grundübel sah Arana in der Industrialisierung und in der damit zusammenhängenden Einwanderung von Fremden. Er entwickelte einen baskischen Nationalismus, der von traditionalistischen, romantischen und rassistischen Motiven geprägt war.
"Ein Phänomen wie die Gewalt der ETA hat viele Ursprünge. Dazu gehört die Franco-Diktatur, die alle Zeichen der baskischen Identität, einschließlich der Sprache unterdrückte. Der imperiale Franco-Nationalismus hat die ETA möglich gemacht."
Aber im Grunde nährte sich die ETA vom radikalen baskischen Nationalismus, der einen fundamentalen antispanischen Affekt enthält, der alles ablehnte, was aus Spanien kam. Sabino Aranas Haltung gegenüber den Immigranten aus anderen Teilen Spaniens lässt sich mit Le Pen heute in Frankreich vergleichen: "Der Immigrant bedroht eine idyllische, uralte, patriarchalische, klerikale Ordnung, indem er neue schädliche Sitten mitbringt."
(Fernando Saveter, baskischer Philosoph, in: Die Zeit, 18.7.97)
Im spanischen Bürgerkrieg, der nicht nur Spanien, sondern auch das Baskenland spaltete, entschieden sich viele der baskischen Nationalisten denn auch für die Seite der Republik und gegen die rechten Aufständischen.
In den Jahren der spanischen Republik begann die Modernisierung der baskischen Partei, die sich pragmatisch modernen, demokratischen Werten öffnete und in Kooperation mit der republikanischen Regierung ein Statut zur Autonomie des Baskenlandes verabschiedete.
Nur die Republik eröffnete dem Baskenland Aussichten auf die langersehnte Autonomie. Die Basken wussten, dass ihnen die Faschisten dieses Recht niemals zugestehen würden. Eine Vorahnung, die sich nach dem Sieg der Rechten mehr als bestätigen sollte. Das Baskenland litt sehr unter dem Krieg, die Bombardierung der baskischen Stadt Guernica durch die deutsche Legion Condor gilt bis heute als Symbol für die Schrecken des Krieges.
Die frischgeschaffene deutsche Luftwaffe, die die spanischen Faschisten im Bürgerkrieg unterstützte, nutzte den Einsatz im Baskenland als eine Art Übung. Am 26. April 1937 zerstörte sie in einem dreieinhalbstündigen Angriff Guernica völlig.
"Jener 26. April war Montag und Markttag. Die Bauern waren von ihren Bauernhäusern herunter in die Stadt gekommen, um ihre landwirtschaftlichen Produkte und ihr Vieh anzubieten... Der Tag verlief normal. Am Morgen machte man wie gewöhnlich die An- und Verkäufe. Nach der Erledigung der Geschäfte waren die Leute in die Restaurants gegangen und am Nachmittag bereitet man sich vor, die angekündigten Pelotaspiele zu besuchen. Das Bombardement begann um 16.30 Uhr. Die Glocke der Kirche Santa Maria läutete dreimal Sturm und schlug Alarm. Nachdem es einige Runden über der Stadt gedreht hatte, warf das erste Flugzeug drei Sprengbomben ab. Das war der Beginn eines pausenlosen Bombardements, das bis etwa 19.30 Uhr dauerte... Als die Gebäude einstürzten und brannten, wurde die flüchtende Bevölkerung von den Tieffliegern mit Maschinegewehren beschossen..."
(Die Bombardierung von Guernica. Ausstellungskatalog. Hg. Gernikazarra Historia Taldea, 1997).
Die genaue Zahl der Toten ist bis heute nicht bekannt. Ziel des Angriffs schien vor allem gewesen zu sein, mit der Zerstörung Guernicas, der symbolischen Haupstadt der Basken, den Widerstandwillen des Landes zu brechen. "Guernica gibt es nicht mehr", schrieb ein Augenzeuge nach der Bombardierung erschüttert nach Madrid.
Pablo Picasso hat mit seinem Gemälde Guernica das Grauen des spanischen Krieges verewigt. "Mit dem Wandbild, an dem ich gerade arbeite und das ich Guernica nennen werde... drücke ich meine Verachtung aus für die Kaste, die Spanien in ein Meer von Schmerz und Tod getaucht hat."
Das Trauma der Bombardierung Guernicas wirkte noch lange fort. 1970, zu Beginn der Pelota-Weltmeisterschaft in San Sebastián, goss sich ein Mann Benzin über die Kleidung und stürzte mit dem Ruf "Dies ist das Feuer von Guernica" als menschliche Fackel auf die Tribüne, von der aus Franco gerade die Spiele eröffnet hatte. Franco hatte seinen Platz gerade verlassen und überlebte den Anschlag völlig unversehrt.
Unter Franco wurden alle baskischen Autonomiebestrebungen völlig unterdrückt. Baskischsprechen wurde mit hohen Geldstrafen geahndet, baskische Bücher wurden verbrannt und jegliche politische Organisation verboten. Ziel war die kulturelle Gleichschaltung aller Regionen. Traditionelle Sportarten wurden als Propaganda-Veranstaltungen für das Regime missbraucht.
So sollte auch Pelota zur Kulisse werden, in der sich Franco inszenieren konnte. Es gab baskische Pelotaspieler, die sich weigerten, für den Diktator aufzutreten und die deswegen nie wieder spielen durften. Die fehlende internationale Ächtung des faschistischen Spanien, das schon bald nach dem Weltkrieg wieder in die Völkergemeinschaft aufgenommen wurde und die Enttäuschung über die zunehmend Franco-freundliche Politik der USA lähmten die baskischen Politiker. Über Volksfeste und Folklore gingen die Aktivitäten bald nicht mehr hinaus.
Erst Ende der fünfziger Jahre formierte sich wieder eine politische Bewegung im Baskenland. Die ETA, (Euzkadi ta Azkatasuna; dt. Baskenland und Freiheit) wurde gegründet. Ihr Ziel war ein souveräner baskischer Staat und die Befreiung von der Francoherrschaft. Im Lauf der sechziger Jahre entwickelte sich die ETA immer mehr in Richtung sozialistischer Positionen.
Beinflusst wurde sie durch nationale Befreiungsbewegungen wie in Kuba oder Algerien und durch die internationale Studentenbewegung. Auf dieser Basis entstand eine Guerrillatheorie, deren taktische Grundlage die "Spirale" der Gewalt war: Der Staat sollte durch Attentate zu repressiven Maßnahmen gegenüber der Bevölkerung provoziert werden. Dies würde der aufständischen Bewegung immer mehr Anhänger zuspielen, was schließlich zur Massenerhebung des Volkes führen würde.
Der Beginn des bewaffneten Kampfes verschob sich wegen vielfältiger ideologischer Spaltungen innerhalb der ETA bis Ende der sechziger Jahre. 1968 starb ein ETA-Führer bei einem Schusswechsel mit der Polizei. Daraufhin tötete die ETA einen Polizeikommissar, der als Folterer bekannt war. Um "der Schlange das Haupt abzuschlagen" reagierte wiederum der Staat mit einer agressiven Verfolgung, in deren Verlauf mehr als 2000 Personen verhaftet und Hunderte gefoltert wurden. Die Basken solidarisierten sich mit der ETA und verkündeten in vielen Protestkundgebungen und Streiks ihren Widerstand gegenüber dem Francoregime. Die Gewalt eskalierte auf beiden Seiten. Die ETA machte auch zivile Personen zur Zielscheibe ihrer Gewaltaten und akzeptierte den "vesehentlichen" Tod von Unbeteiligten. Der Staat reagierte mit Gegenterror, Mordkommandos, Folter und Todesurteilen.
Ein allgemeines Klima der Angst und Unsicherheit breitete sich im Baskenland aus, eine traurige Entwicklung, die auch mit der allmählichen Demokratisierung Spaniens kein Ende nahm. Allein 1980 wurden an die hundert Menschen Opfer des ETA-Terrors.
Mit dem Ende der Franco-Diktatur und der zunehmenden Liberalisierung nahm die Solidarität im Land mit der ETA ab. Das alte faschistische Feindbild gab es nicht mehr, die junge Demokratie war bereit, über gewisse Autonomie-Forderungen der Basken zu vehandeln. Die Menschen sehnten sich nach einem Ende des Terrors. Bombenattentate und Morde machten die Bevölkerung zornig.
1998 sah es für 14 Monate so aus als sei ein Ende des Terrors in Sicht. Die ETA hatte einen Waffenstillstand verkündet. Gesprächskontakte und Verhandlungen zwischen Regierungsvertretern und der ETA fanden statt. Der Film zeigt, welche Hoffnungen sich im Baskenland mit diesen Friedensangeboten verbanden.
Im Dezember 1999 aber brach die ETA die selbst ausgerufene Waffenruhe und seitdem reißt die Kette der Terrorakte und Anbschläge nicht mehr ab. Autobomben, Sprengstoffattentate und Schüsse auf offener Straße gehören wieder zum baskischen Alltag.
Der Widerstand der Bevölkerung aber nimmt ständig zu. Die Basken wollen sich der Einschüchterungspolitik der ETA und dem Klima der Angst nicht mehr beugen. Sie protestieren gegen die ETA und ihre Gewaltakte, gehen auf die Straße, schließen sich zusammen.
"Fast alle Welt im Baskenland hat Angst vor der ETA. In den drei Straßen, die meine Wohnung in San Sebastián umgeben, haben sie in den vergangenen drei Jahren drei Leute umgebracht. Aber mehr Angst habe ich davor, dass es unmöglich werden könnte, im Baskenland zu leben, dass die Gewalt das Miteinander verhindert... Wenn du mit dem lazo azul, der blauen Schleife am Revers, für die Freilassung der ETA-Geiseln demonstrierst, stellen sich die Leute vor dich und sagen: Wir kennen dich, wir wissen, wo du wohnst. Sie schmieren Drohungen an deine Hauswand, zerstören den Briefkasten. Uns Basken gefällt das Leben in der Gruppe, en cuadrilla, wir gehen gern miteinander ein Glas Wein trinken. Und dann merkst du, dass einige Leute Abstand vor dir nehmen - da kommt zu der Angst, dass sie dich umbringen, die Angst, alleine dazustehen."
(Fernando Saveter, baskischer Philosoph, in: Die Zeit, 18.7.97)
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