Finanzsystem
Was unterscheidet die reale Wirtschaft von der Finanzwirtschaft?
Wenn ein Unternehmen ein Paar Schuhe produziert, ist dieses Paar Schuhe ein konkretes Gut, das dem realen Sektor der Marktwirtschaft zugeordnet wird. Werden die Schuhe in einem Geschäft verkauft, zählt auch der Verkauf der Schuhe zur Realwirtschaft. Vom realen Sektor spricht man, wenn es sich um die Produktion und den Handel mit konkreten - also realen - Gütern bzw. Waren handelt. Der reale Sektor umfasst die Produktion und den Handel mit Gütern sowie den Konsum.
Wenn ein Aktienhändler an der Börse Anteile eines Schuhunternehmens kauft oder verkauft, spekuliert er. Er glaubt, dass sich der Wert der Aktie in einer bestimmten Weise entwickeln wird und handelt dementsprechend an der Börse. Dieses Geldgeschäft wird der Finanzwirtschaft zugeordnet, es handelt sich um eine finanzielle Dienstleistung. Im Finanzsektor werden Geschäfte getätigt, bei denen es um die Beschaffung und Verwendung von Geld und Wertpapieren geht.
Manche Aktivitäten lassen sich nicht eindeutig der Realwirtschaft oder der Finanzwirtschaft zuordnen. Manchmal hilft dabei der Blick auf die Akteure. Finanzleistungen werden von Banken, Versicherungen und Anlegern auf den Finanzmärkten bzw. Börsen unternommen. Reale Güter werden von Unternehmen oder Handwerkern produziert bzw. von Geschäftsleuten gekauft und verkauft.
Die Liberalisierung des Finanzsystems
Besonders die Finanzgeschäfte an den internationalen Börsen wurden in den letzten Jahrzehnten stark ausgeweitet. Bis in die 1970er Jahre gab es in den westlichen Staaten mit einer kapitalistischen Marktwirtschaft den Anspruch, dass die reale Wirtschaft in einem ausgewogenen Verhältnis zur Finanzwirtschaft steht. Zu diesem Zweck wurde die Geldmenge, die im Umlauf war, reguliert. Geld sollte immer auch einen realen Gegenwert haben. Diesen Gegenwert bildeten die vorhandenen Güter und die Goldreserven der Staaten.
Diese Regulierung wurde Ende der 1970er Jahre aufgehoben: Das Geld musste nun nicht mehr durch einen Gegenwert an Gütern oder Gold gedeckt sein. Mit dieser Liberalisierung des Finanzmarktes hat sich das Verhältnis zwischen der Realwirtschaft und der Finanzwirtschaft weltweit stark verändert. Bis 1980 lag die Realwirtschaft im Durchschnitt noch bei einem Wert, der rund doppelt so hoch war wie der Wert der Finanzwirtschaft. Dieses Verhältnis hat sich seitdem völlig umgekehrt. Heute liegen die Werte, die im Finanzsektor gehandelt werden, weltweit fast vier Mal so hoch wie in der realen Wirtschaft.
Die Finanzkrise 2007
Von Wirtschaftsexperten wird auf die Gefahr von Ungleichgewichten zwischen Real- und Finanzwirtschaft hingewiesen. Die Finanzkrise von 2007 wird auch darauf zurückgeführt, dass sich in den vorangehenden Jahrzehnten das Finanzsystem stark aufgebläht hat. Das Geldkapital ist heute extrem mobil und wird per Knopfdruck in Sekunden über den Globus versendet. Die Folge können spekulative Entwicklungen an den Börsen sein, die nicht auf tragfähigen wirtschaftlichen Planungen und Werten basieren. Man spricht dann auch davon, dass Spekulationsblasen entstehen. Platzt eine Spekulationsblase, kann dies zu einer negativen Kettenreaktion in verschiedenen wirtschaftlichen Bereichen führen und letztlich eine Finanzkrise verursachen.
Welche Rolle haben die Banken?
In den letzten Jahrzehnten haben sich die Banken sehr verändert. Es gibt neben den üblichen Geschäftsbanken noch andere private Bankentypen. Besonders die Zahl der Investmentbanken ist rasant gestiegen: Ihre Rolle besteht darin, den Kauf und den Zusammenschluss von Firmen zu betreiben. Zudem handeln sie mit Finanzprodukten (Produkten zur Geldanlage) und Wertpapieren. Diese Transaktionen und Geldgeschäfte auf den Finanzmärkten sind sehr komplex. Die Investmentbanken operieren nicht immer öffentlich und transparent. Selbst Experten bezeichnen bestimmte Finanzprodukte, mit denen an den Börsen gehandelt werden, als „Black Box“, als geschlossene Systeme, in die man nicht hineinschauen kann. Wirkung und Risiken würden in Folge dessen häufig nicht gesehen oder falsch eingeschätzt.
Wie die Banken Geld schöpfen
Mit der Liberalisierung des Finanzsystems, die in den Marktwirtschaften vor allem in den 1990er Jahren vorangetrieben wurde, haben die Privatbanken eine enorme Macht erreicht. Sie schaffen durch die sogenannte Giralgeldschöpfung Buchgeld. Das ist Geld, das nur in den Büchern existiert, nicht aber als wirkliches Papier- oder Münzgeld. Dieses Giralgeld oder auch Buchgeld wird in Form von Krediten an die Kunden vergeben. Verleihen die Banken auf diese Weise beispielweise 100 Euro, müssen sie lediglich eine Deckung von durchschnittlich 2,5 % der Geldsumme bei der staatlichen Zentralbank nachweisen.
So wird immer mehr Geld geschaffen, das nur auf dem Papier bzw. elektronisch existiert. Diese Geldschöpfung führt unter anderem dazu, dass das Finanzsystem sich immer weiter aufbläht. Wirtschaftsexperten kritisieren, dass die reale Wirtschaft für ein Gleichgewicht zwischen der Real- und Finanzwirtschaft eigentlich genauso stark wachsen müsste wie die Geldmenge. Das ist aber - nicht nur aus ökologischen Gründen - unmöglich. Die Finanzkrise ab 2007 wird auch auf das disproportionale Anwachsen der Finanzdienstleistungen gegenüber dem realen Sektor zurückgeführt.
Was ist Spekulation?
Die Spekulation bezieht sich seit jeher auf Geschäfte mit Geld. Ein Spekulant versucht anlässlich von erwarteten oder zu erwartenden Preisveränderungen auf den Finanzmärkten Profit zu machen. In einer einfachen Form wird bereits beim Kauf von Aktien spekuliert, denn der Käufer erhofft sich eine günstige Entwicklung seiner Aktien. In Kritik geraten immer häufiger solche Spekulanten, die mit großen Geldsummen operieren und hohe Risiken eingehen.
Die Manager sogenannter Hedgefonds beispielsweise verfügen über viel Geld, das sie nutzen, um Wetten einzugehen: Sie setzen mit verschiedenen Instrumenten entweder auf steigende oder fallende Aktienkurse. Mit ihren Anlagen, die häufig sehr kurzfristig entschieden werden, können Hedgefonds bestimmte Trends verstärken und sogar initiieren. Sie handeln in Sekunden mit großen Mengen an Wertpapieren. Die Gefahr dieser blitzschnellen Reaktionen an den Börsen liegt darin, dass wirtschaftliche Entscheidungen mit entscheidenden Folgen wenig durchdacht und von Stimmungen geleitet sein können. Da die Finanzmärkte weltweit organisiert sind, können Spekulanten auf dem gesamten Globus Wetten abschließen und somit auch global wirtschaftliche Entwicklungen auslösen.
Können Spekulanten gegen Staaten wetten?
Die Finanzkrise ab 2007 hat einzelne Staaten an den Rand des Bankrotts gebracht. Besonders dramatisch waren die Turbulenzen im Fall von Griechenland. Die Schuldenkrise des Landes hat weltweit Spekulanten auf den Plan gerufen. Sie kauften und verkauften griechischen Staatsanleihen.
Diese Wetten auf steigende oder fallende griechische Staatsanleihen haben sich auf den Kapitalmärkten zeitweise so unterschiedlich entwickelt, dass ohne jeden ersichtlichen Grund, die Anleihkurse des griechischen Staates in die Höhe schossen oder in die Tiefe purzelten. Über Wochen versuchten Akteure auf den Kapitalmärkten die Schwäche der europäischen Währungsunion für spekulative Geschäfte zu nutzen. Dabei wurden sehr unterschiedliche und teilweise sehr undurchschaubare Finanzgeschäfte getätigt. Nur der massive Kauf griechischer Staatsanleihen durch andere Euro-Länder konnte die Börse beruhigen und den Bankrott Griechenlandes abwenden.
Ein bevorzugtes Mittel der Spekulanten ist der Credit Default Swap (CDS), ein Mittel, um sich gegen den Zahlungsausfall eines Schuldners zu versichern. Der Verkäufer des CDS bietet dem Käufer an, dass er zahlt, wenn ein Kreditnehmer seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. Dafür zahlt der Käufer dem Verkäufer eine Prämie. Ein CDS ist nicht nur eine Versicherung. Man kann ihn weiterverkaufen und mit ihm spekulieren.
Die finanziellen Turbulenzen im europäischen Währungsraum wurden während der Finanzkrise auch dadurch verschärft, dass auf den Kapitalmärkten mit zeitweise stärkeren Währungen, wie dem US-Dollar, gegen den Euro gewettet wurde.
Die Europäische Zentralbank in der Finanzkrise
Bedeutende staatliche Institutionen im Finanzsystem sind die Zentralbanken. Sie werden auch Notenbanken genannt. Sie haben die Währungshoheit in einem Land. Ihnen obliegt auch die Ausgabe von Geldnoten.
Es gibt auch supranationale staatliche Banken, wie zum Beispiel die Europäische Zentralbank (EZB). Die Aufgaben der EZB wurden erstmals im Vertrag von Maastricht 1992 festgelegt. Ihr vorrangiges Ziel ist die Gewährleistung der Preisniveaustabilität in der Eurozone. Die EZB hat auch zur Aufgabe, die Wirtschaftspolitik der Europäischen Union zu unterstützen - mit dem Ziel eines hohen Beschäftigungsniveaus und dauerhaften Wachstums. Geldwertstabilität und Wirtschaftswachstum gleichzeitig einzuhalten, ist besonders in Krisenzeiten ein schwieriges Unterfangen. Deshalb gerät die EZB auch immer wieder in die Kritik.
Der Kauf von Staatsanleihen
Staaten leihen sich über den Verkauf von Staatsanleihen Geld auf dem Kapitalmarkt indem sie sogenannte Staatsanleihen verkaufen. Der Staat verpflichtet sich in der Anleihe bzw. Urkunde das geliehene Geld mit einer bestimmten Verzinsung zurück zu zahlen. Die Anleihen von finanzstarken Ländern sind natürlich begehrter als die von wirtschaftlich weniger starken Ländern.
Der europäische Bankensektor war wegen der Finanzkrise 2007 von großem Misstrauen geprägt. Banken liehen sich gegenseitig kein Geld mehr, weil sie fürchten mussten, dass die andere Bank Pleite gehen könnte und den Kredit nicht zurückzahlen würde. Daher beschloss die Europäische Zentralbank (EZB) Ende 2011 Bank-Instituten langfristige Notkredite zu gewähren. Die Banken konnten sich erstmals - über eine Laufzeit von drei Jahren - bei der EZB Geld leihen.
Um den Zusammenbruch der Euro-Zone zu verhindern, entschied die EZB, die Finanzmärkte zu beruhigen, indem sie Staatsanleihen der finanzschwachen Länder aufkaufte. Im Jahr 2010 begann sie unter dem damaligen Präsidenten Jean-Claude Trichet mit einer dramatischen Rettungsaktion finanzschwacher EU-Länder wie Griechenland, Italien, Portugal und Irland. Sie kaufte innerhalb von zwei Jahren Staatsanliehen dieser Länder im Wert von insgesamt 210 Milliarden Euro. Das war auch eine Gegenmaßnahme gegen die Wetten von Spekulanten auf die Pleite einzelner Euro-Staaten.
Seit 2015 kauft die Europäische Zentralbank nun regelmäßig in den Mitgliedsländern Staats- und Unternehmensanleihen in großem Umfang. Ende 2017 waren es im Schnitt Käufe von 60 Milliarden Euro monatlich. Damit will die EZB auch den Konsum und die Produktion im EU-Wirtschaftsraum beleben.
Die EZB gegen die Rezession
Die europäische Zentralbank hat in den letzten Jahren gegenüber den Zentralbanken der einzelnen EU-Länder eine immer wichtigere Rolle eingenommen. Um der Abschwächung der Wirtschaft in Folge der Finanzkrise entgegen zu steuern, griff die EZB zu unterschiedlichen geldpolitischen Maßnahmen. Eine davon war die kontinuierliche Senkung des Leitzinses, um Investitionen anzukurbeln. Der Leitzins ist der Zinssatz, zu dem sich Geschäftsbankenbei der Zentralbank Geld leihen können. Im März 2016 ging der Europäische Leitzins sogar auf Null.
Die EZB will mit dieser geldpolitischen Maßnahme die Konjunktur, also die Wirtschaft, in der Europäischen Union beleben. Zum einen will sie damit eine Deflation - ein Absinken des Preisniveaus - verhindern, denn dauerhaft sinkende Preise können eine gravierende Wirtschaftskrise auslösen. Zum anderen will die EZB mit der Vergabe von Krediten durch Anleihen auch den Konsum und die Produktion anregen.
Finanztransaktionssteuer
Mit der Weltfinanzkrise von 2007 wurde die Einführung einer Finanztransaktionssteuer wieder auf die politische Agenda gesetzt: Internationale Experten drängen darauf, dass auch Gewinne aus Finanzprodukten steuerpflichtig werden. Solche Abgaben werden zwar punktuell erhoben, es fehlt aber eine allgemeine Besteuerung der Gewinne aus Finanzgeschäften. Auf europäischer Ebene und in den einzelnen Staaten ringen Politiker seit vielen Jahren darum.
Die Liberalisierung der Finanzmärkte bringt immer neue und teilweise sehr riskante Finanzprodukte hervor. Diese Finanzprodukte sind häufig sehr komplex. Ihre Wirkungen auf die Märkte werden manchmal nicht einmal von Finanzexperten verstanden. Viele dieser Finanzprodukte werden in Sekundenschnelle abgewickelt und sind von der realen Wirtschaft völlig abgekoppelt.
Mit einer Transaktionssteuer soll einerseits die Spekulation eingedämmt werden. Es geht aber auch darum, die Geschwindigkeit von spekulativen Geschäften zu verringern und somit die Finanzmärkte zu stabilisieren. Nicht zuletzt will man aber durch eine Steuer auf ihre Geschäfte, die Spekulanten auch an den Kosten einer Finanzkrise beteiligen. Die Folgen der letzten Finanzkrise wurden von der öffentlichen Hand übernommen und aus Steuergeldern bezahlt.
Ausblick
Die Finanzminister in der EU konnten sich, nach langen und zähen Verhandlungen, nicht auf eine einheitliche Finanztransaktionssteuer einigen. Die einzelnen EU-Staaten wollen eine Finanztransaktionssteuer nicht im Alleingang einführen. Sie fürchten um die Konkurrenzfähigkeit ihres eigenen Finanzsektors.
Noch vor dem Brexit, dem Votum für einen Austritt Großbritanniens aus der EU, verweigerte die britische Regierung eine Abgabe auf Finanzprodukte mit dem Argument, sie fürchte um die Attraktivität ihres Finanzplatzes London. Nun sollen die Verhandlungen zum Austritt Großbritanniens aus der EU abgeschlossen werden, bevor neu über die Besteuerung von spekulativen Geschäften in den europäischen Gremien diskutiert wird.
Ein weiteres Problem, das bisher vertagt wurde, sind die Banken. Sie sind trotz aller Versprechen immer noch kaum reguliert. Die Banken spekulieren wieder wie vor der Krise. Seit der Finanzkrise 2007 ist das Bankenwesen noch mächtiger und somit noch systemrelevanter geworden.