Die Entstehung des Tamburello
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Der Schläger sieht aus wie ein Musikinstrument und der Spielverlauf erinnert stark an Tennis. Tamburello (italienisch für "Tamburin") ist ein sehr altes italienisches Spiel, das vor allem in den ländlichen Regionen in Norditalien gespielt wird. Außerhalb Italiens kennen es nur wenige, obwohl seine Ursprünge bis ins Römische Reich reichen. Die heutige Spielform entwickelte sich im Lauf der Jahrhunderte: Einen Hinweis auf ein Spiel, das dem heutigen Tamburello ähnelte, gibt es in einem Gesetzbuch aus dem 10. Jahrhundert, dem "Cronicon Salernitanum". Der nächste Hinweis stammt von einem Abt namens Antonio Scaino, der 1555 zum ersten Mal drei verschiedene Formen des Ballspiels und deren Regeln beschrieb.
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Die wichtigste Zeit für die Entwicklung des Spiels ist die italienische Renaissance. "Das klassische Spiel Italiens war und ist bekanntlich das Ballspiel, und auch dieses möchte schon zur Zeit der Renaissance mit viel grösserm Eifer und Glanze geübt worden sein als anderswo in Europa", schreibt Renaissance-Spezialist Jacob Burckhardt im Jahr 1860. Die Adeligen betrieben in den Mauern ihrer Palazzi zum Vergnügen verschiedene Spiele wie "civettino" (eine Mischung zwischen Boxen und Fechten) und eben das "gioco del pallone", das Ballspiel. Ende des 17. Jahrhunderts wurde das Ballspiel dann auf die großen Plätze der Städte verlegt, die Wettkämpfe wurden für die Bewohner der Städte zu bedeutenden Ereignissen.
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Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden dann in vielen Orten große Arenen ("Sferisteri") für das Ballspiel und wurden - wie beispielsweise in Florenz, Bologna, Turin, Perugia, Macerata - von den Stadtverwaltungen finanziert. Das Ballspiel entwickelte sich im Norden Italiens zum Volkssport. Damals handelte es sich noch um Bracciale, ein Spiel, bei dem der Schläger ganz aus Holz bestand. Er hatte die Form einer Röhre, die Oberfläche war stark gekerbt. Wann der heute übliche Tamburello-Schläger entstand, ist unbekannt. Er bestand zunächst ebenfalls aus Holz, wobei der Rahmen mit Pferdeleder bespannt wurde. Für die Bälle wurde mit Rosshaar gefülltes Leder verwendet. Die heutigen Rahmen der Schläger bestehen aus Kunststoff, die mit einer Nylonmembran bespannt werden, zum Spielen werden Hartgummi-Bälle verwendet. Der Ball kann beim Spiel gut 250 Stundenkilometer erreichen und ist damit noch um einiges schneller als der Ball beim Tennis.
Bis zum 20. Jahrhundert war Tamburello nicht in Verbandsstrukturen eingebunden. 1890 wurde es von der "Federazione Ginnastica" Italiens offiziell als Spiel anerkannt, 1910 wurde in Rom dann eine Institution für sämtliche Ballsportarten gegründet, die aber nur kurze Zeit existierte. Es folgte 1920 die "Federazione Nazionale Gioco del Pallone" (nationaler Verband für sämtliche Ballspiele) aus der 1927 die "Federazione Italiana Palla Tamburello" (FIPT) wurde, der Verband, der für alles rund um Bracciale und Tamburello zuständig ist. 1929, in der Zeit des italienischen Faschismus, endete die Eigenständigkeit des Verbandes. Er wurde erst 1946 wieder aufgebaut.
1903 war für Tamburello die große Chance gekommen, olympische Disziplin zu werden. Pierre de Coubertin, Begründer der neuzeitlichen olympischen Spiele, hatte die Idee, die Olympischen Spiele 1908 in Rom zu veranstalten und nahm Gespräche mit Italiens König Vittorio Emanuele und Papst Pius X. auf. Tamburello wäre nach dem Willen des Sportverbandes "Federginastica" eine von 20 weiteren olympischen Disziplinen gewesen. Aus finanziellen Gründen fanden die Spiele jedoch nicht in Rom statt - 1908 wurde London ihr Austragungsort.
In der Zeit des Faschismus in Italien versuchte Mussolini aus Tamburello einen Nationalsport zu machen. Tamburello sollte italienischer Massensport werden - ähnlich wie Fußball. Beides wollte die Politik für ihre Zwecke nutzen: Die Erfolge der Fußballer dienten dem internationalen Prestige des Landes - Tamburello sollte die nationale Identität beschwören.
Aus einem "Nationalsport" Tamburello wurde jedoch nichts. Die Italiener hatten sich längst für den Fußball als "ihren" Sport entschieden. Es entstanden riesige Stadien, der Profifußball entwickelte sich und 1934 wurde schließlich in Italien die Fußball-Weltmeisterschaft ausgetragen, die Italien auch gewann.
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Tamburello existiert heute vor allem in ländlichen Regionen Norditaliens. In manchen Orten, wie beispielsweise Treia, gibt es regelmäßig Feste, in denen in ursprünglicher Wettkampfbekleidung "Bracciale", der Vorläufer des Tamburello, gespielt wird. An etlichen Orten im Piemont werden noch heute die alten Tamburello-Stadien für "La palla a muro" genutzt - eine alte Tamburello-Variante, bei der die Stadtmauer miteinbezogen wird. Es existieren auch Profi-Mannschaften, deren Spieler oft aus weiter entfernten Dörfern zusammenkommen.
Seit einigen Jahren wird Tamburello auch im Ausland bekannter: Während es bis in die 80er Jahre nur in Italien und teilweise auch in Frankreich als Wettsportart ausgetragen wurde, gibt es das alte Spiel inzwischen in zahlreichen europäischen Ländern, in Südamerika und den USA.
In Deutschland gründeten 1997 die Studenten Dirk Ertel und Kai Lohrengel die Firma Tamburello Deutschland, die als offizielles Organ des Internationalen Verbandes (FIJBT) zur Verbreitung von Tamburello in Deutschland fungiert. Vereinzelt wird Tamburello bereits in Vereinen und an Hochschulen angeboten.
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