Entstehung und Geschichte von Capoeira
"Capoeira ist alles" schreibt Almir das Areias in seinem Buch über den Afro-Brasilianischen Kampfsport. "Es ist der Kampf eines Volkes". Aber es ist noch viel mehr als das: Die Freiheit von Körper und Geist, Tanz, Musik, Verteidigung, Sport, Kultur, Folklore. Mit Musik und Poesie kämpft Capoeira für die Freiheit und die Würde der Schwarzen. Für den einzelnen Kämpfer, der seinen Körper zur einmalig agilen Waffe formt, ist sie eine Bestätigung seiner Identität.
[Bild Vergrößerung]Capoeria wird in "Asociaçoes" (Vereinen) und "Academias" (Schulen) gelehrt und ausgeübt. Verschiedene Dachverbände versuchen, die Vielzahl von Capoeria-Gruppen im Lande zu vereinigen, doch eine verbindliche Kodifizierung des Sports ist nie zustande gekommen. Capoeira ist zugleich Kampfsport, Spiel und Tanz. Anders als etwa Karate ist Capoeira ohne Musik nicht denkbar. Die rhythmischen Klänge des Berimbau geben den Kämpfern im Ring Anweisungen, die Lieder inspirieren sie im Kampf. Die Texte der monoton klingenden Gesänge ehren Capoeira-Helden der Vergangenheit, sie erinnern an die grausame Unterdrückung der Schwarzen in Brasilien oder beschreiben den Alltag der Capoeiristas (Capoeira-Spieler): "Das Fest ist schön, aber es wird noch viele Schläge geben" lautet ein Lied, in Anspielung auf die bewegte Geschichte der lange verbotenen Capoeira. Und "vou-me embora" (ich gehe weg) besingt den Traum der Schwarzen, nach Angola, nach Afrika zurückzukehren.
[Bild Vergrößerung] Heute werden zwei Arten von Capoeira gelehrt. Die "Capoeira Angola" steht für Tradition und pflegt bewusst die afrikanischen Wurzeln des Spiels. Die Bewegungen sind langsamer und weniger spektakulär als bei der modernen und mehr auf Akrobatik angelegten "Capoeira regional". Bei der Capoeira Angola ist der Rhythmus wichtiger als die Akrobatik und die meisten Bewegungen werden mit Beinen und Füssen ausgeführt. Angola-Capoeiristas bewegen sich dicht am Boden. Ihre stärkste Waffe ist die "malicia", die Tücke. Kämpfer können sich unendlich lange um einander herum bewegen, scheinbar ohne einen Angriff zu versuchen, um dann plötzlich, wie aus dem Hinterhalt, den Gegner von den Füssen zu fegen. Capoeira Angola ist ganzheitlich zu verstehen, es ist eine Lebensweise, eine Philosphie, und seine Ausübung kann ein politisches Manifest sein - etwa wenn Gruppen sich auf öffentlichen Plätzen zeigen, um ihr Recht auf Freiheit zu unterstreichen.
Geschichte:
[Bild Vergrößerung] Capoeira ist brasilianisch. Gewiss ist der Ursprung in Afrika zu suchen, und einzelne Bewegungen sind ohne Zweifel verwandt mit afrikanischen Tänzen. Doch in keiner der anderen Gegenden, in die Sklaven aus Afrika verschleppt wurden, weder in den USA noch in der Karibik, entstand eine solche Sportart. Capoeira ist ursprünglich Verteidigung, Selbstbehauptung der schwarzen Sklaven in Brasilien. Das portugiesische Wort Capoeira bedeutet Gebüsch. Denn die Sklaven versammelten sich in der Freizeit auf kleinen Lichtungen, fernab vom wachsamen Auge ihrer Besitzer, um zu üben. Sie durften keine Waffen tragen, also schmiedeten sie ihren Körper zur Waffe. Dabei tarnten sie ihre Übungen als Tanz. Musik und tänzerische Bewegungen waren auch Ausdruck ihrer Gefühle, ihrer tiefen Sehnsucht nach Freiheit. Die Bewegungen der Capoeira gleichen oft den Bewegungen wilder Tiere, und Affen oder Panther mögen die Schwarzen inspiriert haben.
[Bild Vergrößerung]Entflohene Sklaven setzten ihre Kunst ein, um zu überleben: Zeugnisse vieler "capitões-de-mato" (Urwald-Kapitäne), wie die gefürchteten Sklavenjäger genannt wurden, die das Hinterland der portugiesischen Kolonie in Brasilien nach Indianern und entflohenen Schwarzen durchstreiften, berichten von "seltsamen Körperbewegungen" der Schwarzen. Als die Niederländer in Brasilien einfielen und den Nordosten von 1624 bis 1630 besetzten, nutzen zahlreiche Schwarzen den Krieg der Weißen, um zu fliehen. So entstanden im Urwald zahlreiche Quilombos, Wehrdörfer freier Schwarzer. Das berühmteste war Palmares, in dem die Schwarzen ihr Leben wie in einem afrikanischen Königreich organisierten. Palmares hatte bis zu 20.000 Einwohner und hielt den Angriffen der weißen Truppen 60 Jahre lang stand. Berühmtester Anführer von Palmares war Zumbi, der 1694 nach der Eroberung von Palmares hingerichtet wurde.
Nach der Befreiung der Sklaven (s. "Landesgeschichte") kam die Capoeira mit den nun arbeitslosen Schwarzen in die rasch wachsenden Elendsviertel der Städte. Kriminelle Banden benutzten die Capoeira, um sich gegen Rivalen durchzusetzen. Das Wort Capoeria wurde bald gleichbedeutend mit Bande, und im Strafgesetz von 1890 wurde die "Ausübung körperlicher Übungen auf öffentlicher Straße" mit zwei Jahren Gefängnis bestraft. Aus dieser Zeit stammt der beliebte Refrain: "A festa tà muito boa, Mais vai ter muita pancada" ("Das Fest ist sehr schön, aber es wird noch viele Schläge geben"). Die Verfolgung hatte zur Folge, dass die Schläge verbessert, verfeinert, wurden. Capoeiristas setzten im Ernstfall auch Messer ein. Die "toques" des Berimbau erhielten grosse Bedeutung als Warnung vor dem Anrücken der Polizei.
Erst 1932 erlaubte der populistische Präsident Getulio Vargas die Capoeira. Er suchte jede Art der traditionellen Kultur zu fördern. Durch die Legalisierung der Capoeira machte er den Weg zum Massensport frei, den Bimba mit seiner ersten "Academia" so erfolgreich beschreiten würde (s."Regeln").
Impressionen von den Dreharbeiten
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