Experiment Verwandtschaft

Kurs: Wir kochen uns eine Ursuppe

Stand

Eine unglaubliche Zahl von Lebewesen bevölkert unsere Welt. Von den ganz kleinen Organismen, wie Bakterien oder Amöben, bis hin zu den größten, den Walen oder den ausgestorbenen Dinosauriern, in Milliarden von Jahren hat sich eine unüberschaubare Vielfalt des Lebens auf der Erde entwickelt.

Erbsubstanz DNS
Die Erbsubstanz DNS

Oder hat es nicht? Viele Menschen glauben trotz der modernen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse von Darwin und seinen Nachfolgern nicht an die natürliche Evolution der Organismen, sondern an einen übernatürlichen Schöpfungsakt. Ein häufig verwendetes Argument gegen die Evolutionstheorie ist die schwer nachvollziehbare Urzeugung des Lebens, also das Entstehen lebender Organismen aus unbelebter Materie. Wie sollen in der Urzeit der Erde plötzlich die Moleküle entstanden sein, aus denen sich Lebewesen zusammensetzen, also zum Beispiele Eiweiße oder Kohlenhydrate?

Lange war es ein großes Rätsel, wie die Bausteine des Lebens „von selbst“ entstanden sein sollen. Woher kamen die ersten Aminosäuren, aus denen die Eiweiße bestehen, die selbst unverzichtbarer Bestandteil eines jeden lebenden Wesens auf diesem Planeten sind? Woher kamen die ersten Nukleinsäuren, elementarer Bestandteil unseres genetischen Materials?

Asteroid auf Erdkurs
Kam das Leben aus dem All?

Je schwerer die Antworten auf diese Fragen fielen, desto exotischer wurden die Erklärungsversuche. Manche Forscher glaubten, die grundlegenden Bausteine des Lebens seien von Asteroiden durch das All auf die Erde transportiert worden. Freilich verlagert diese Hypothese die Frage nach der ersten Entstehung der organischen Moleküle nur an einen anderen Ort, denn irgendwo müssen sie trotzdem zum ersten Mal aufgetaucht sein. Da hilft es auch wenig, dass tatsächlich das Vorhandensein von Aminosäuren auf Asteroiden nachgewiesen wurde. Wo aber ist ihr Ursprung, wo und wie sind diese Moleküle entstanden?

Diese Fragen stellte sich 1953 auch der amerikanische Chemiestudent Stanley Miller. Zusammen mit Harold Urey wollte er im Labor die Bedingungen der Urerde simulieren, um zu sehen, welche chemischen Reaktionen in der Frühzeit der Erde abgelaufen sein könnten und welche Stoffe dabei möglicherweise entstanden sind.

Der Versuchsaufbau war relativ einfach. Um die vermutete frühe Erdatmosphäre zu simulieren, mischte Miller Wasser (H₂O) mit Ammoniak (NH₃), Methan (CH₄) und Wasserstoff (H₂). Sauerstoff gab es in der frühen Erdatmosphäre praktisch nicht. Als Energiezufuhr dienten elektrische Entladungen, die Blitze simulierten. Mittels eines Bunsenbrenners wurde das Gemisch erhitzt. Bereits nach einer Woche konnte in dem Versuchsaufbau ein bräunlicher Niederschlag beobachtet werden. Durch Chromatographie wurde nachgewiesen, dass sich in der vergleichsweise kurzen Zeit eine Vielzahl von organischen Substanzen gebildet hatte, darunter auch Aminosäuren, die Bausteine von Eiweißen.

Die Apparatur von Stanley Miller
Simulierte Uratmosphäre - Die Apparatur von Stanley Miller

Seit damals wurde das Experiment in vielfacher Abwandlung häufig wiederholt. So wurde als Kohlenstoffquelle statt Methan mal Kohlenstoffmonoxid (CO) oder Kohlenstoffdioxid (CO₂) verwendet. Als alternative Energiequelle wurde UV-Licht eingesetzt. Molekularer Stickstoff (N₂) stand als alternative Stickstoffquelle zur Verfügung. Jedes Mal bildeten sich in kurzer Zeit organische Moleküle, darunter wieder viele Aminosäuren, aber auch Purine und Pyrimidine, wichtige Bausteine des Erbmaterials DNS.

Das Miller-Urey-Experiment, umgangssprachlich auch „Ursuppenexperiment“, erklärt nicht, wie Eiweiße, Kohlenhydrate oder gar DNS entstanden sind. Aber es beweist, dass unter den Bedingungen der frühen Erdatmosphäre relativ einfach und in großer Zahl die organischen Bausteine dieser für das Leben so wichtigen Moleküle „von selbst“, ohne Einfluss eines Schöpfers, entstehen konnten.

Vulkanausbruch
Unfreundliche Umweltbedingungen auf der Urerde

Von diesen organischen Bausteinen zu so komplexen Lebewesen, wie wir Menschen es sind, ist es ein weiter Weg, aber die Evolution hatte hierfür auch mehrere Milliarden Jahre Zeit. In solch unermesslichen Zeiträumen können selbst statistisch sehr unwahrscheinliche Ereignisse eintreten. Noch aber wissen wir zu wenig über die Bedingungen, unter denen sich Makromoleküle wie Eiweiße aus Aminosäuren unter natürlichen Bedingungen bilden konnten.

Je genauer wir die Zusammensetzung der Uratmosphäre bestimmen können und je mehr wir über die äußeren Bedingungen der damaligen Zeit in Erfahrung bringen, desto besser werden wir die Evolution der Lebensbausteine verstehen.

Auch neue Erkenntnisse der Molekularbiologie helfen uns Licht in das Geheimnis der Lebensentstehung zu bringen. So war es lange Zeit schwer zu verstehen, wie Eiweiße entstehen konnten, denn für ihre Produktion in der Zelle werden Enzyme benötigt, die ihrerseits selbst Eiweiße sind. Woher also kamen die ersten Enzyme? In den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wurden überraschenderweise RNS-Moleküle entdeckt, Nukleinsäuren, die über katalytische Eigenschaften verfügen, genau wie Enzyme aus Eiweißen. Aufgrund dieser ähnlichen Eigenschaften nannte man sie Ribozyme. Offensichtlich fungierten in der Frühzeit der Erde solche Ribozyme als Katalysatoren für biochemische Vorgänge, lange bevor es Enzyme aus Eiweißen gab. Die Entstehung von RNS- und DNS-Molekülen freilich ist weiterhin ungeklärt. Dieses Beispiel zeigt aber, wie einst unerklärliche Vorgänge durch neue Forschungsergebnisse erhellt werden und schürt die Hoffnung, heute noch unerklärbare oder sogar geheimnisvolle Phänomene in der Natur in der Zukunft durchaus enträtseln zu können.

Stand
Autor/in
planet schule