Das Renaissance-Experiment

Erasmus von Rotterdam und Martin Luther

Stand
Autor/in
Sandra Kampmann

Erasmus von Rotterdam und Martin Luther – Der Sanfte und der Rebell

Erasmus von Rotterdam gilt neben Philipp Melanchthon als der bekannteste Humanist seiner Zeit. Mit seiner Bibelübersetzung ins Griechische legte der „doctor universalis“, Europäer und große Gelehrte das Fundament für die Reformation und ebnete den Weg für Martin Luther. Auf seiner griechischen Erstausgabe aus dem Jahr 1516 basiert die deutsche Übesetzung des Neuen Testaments von Luther, die dieser in nur elf Wochen vollendete. Doch während Luther die Kirche revolutionieren wollte, beabsichtigte Erasmus von Rotterdam die Kirchenspaltung zu verhindern. Zunächst nicht in der Sache, aber durch Differenzen in der Vorgehensweise, kam es zum Bruch zwischen den beiden Gelehrten. Anders als Luther brach der Kosmopolit Erasmus nicht vollständig mit der römisch-katholischen Kirche und blieb Katholik.

Neue Bibelübersetzung – eine Provokation!

Bei dem Verleger Johann Froben in Basel erschien am 1. März 1516 die erste Auflage in der Bibelübersetzung von Erasmus von Rotterdam. Dieser gab das Neue Testament, Novum Instrumentum, in seinem griechischen Urtext und nicht in der Version der Vulgata heraus, der im Mittelalter gebräuchlichsten lateinischen Bibelübersetzung. In zwei Spalten stellte er seinem griechischen Text seine darauf basierende lateinische Übersetzung gegenüber. Bei der griechischen Übersetzung der Bibel ging er streng philologisch vor, unter Einbezug aller verfügbaren älteren Ausgaben. Dieses methodische Vorgehen stellte schon alleine deswegen eine Provokation dar, da man im Mittelalter davon ausging, dass die Bibel unmittelbar Gottes Wort beinhaltete und nicht der Textkritik historischer Texte bedurfte.

In der Sache eins: Kritik an Korruption und Ablasshandel

Obwohl sich Erasmus von Rotterdam und Martin Luther nie persönlich kennenlernten, pflegten sie zu Beginn eine rege Korrespondenz über für beide, dringliche Reformen der Kirche. Genau wie Luther vertrat Erasmus von Rotterdam die Meinung, dass alle Menschen – egal ob Klerus und Laien – Zugang zu den biblischen Texten haben sollten. Beide kritisierten die Korruption der Kleriker und den Ablasshandel, waren sich aber uneinig über die Vorgehens-weise. Während der Wittenberger Reformator eine „harte Linie“ gegen das Papsttum vertrat, setzte sich der große Humanist für „innere Reformen“ ein und bat Luther in einem Brief am 30. Mai 1519 um Mäßigung. „Meines Erachtens kommt man mit bescheidenem Anstand weiter als mit Sturm und Drang.“

Methodische und theologische Differenzen

Anders als Luther wollte Erasmus von Rotterdam die gegebene Ordnung und den Papst nicht abschaffen, sondern vermitteln und die Einheit der Christenheit erhalten. Ihm schwebte ein neues Zeitalter der Liebe und des Friedens vor. Luther hingegen favorisierte radikalere Lösungen und wollte mit der alten Kirche brechen. Die unterschiedlichen Herangehensweisen mündeten zwangsläufig in einem Streit über theologische Interpretationen. Während Erasmus von Rotterdam die freie Entscheidungsmöglichkeit des Menschen zwischen Gut und Böse als Geschenk Gottes ansah und damit humanistischen Idealen folgte, stritt der Reformator dies ab. Nach Luthers Auffassung war jede Tat des Menschen durch Gott vorherbestimmt. Ein Bild, das Luther gerne verwendete, verdeutlicht seine Position: „Der menschliche Wille ist ein Pferd, das vom Teufel geritten und von Gott gelenkt wird.“

Der Streit eskaliert…

Auf dem Reichstag in Worms 1524 kam es zum endgültigen Bruch zwischen den beiden Wegbereitern der Reformation. Luther weigerte sich, seine Überzeugungen zu widerrufen. Daraufhin wurde der Kirchenbann vollzogen, die Reichsacht über Luther verhängt. Der feinsinnige Reformer Erasmus äußerte dazu in einem Brief an Herzog Georg von Sachsen: „Luther, das lässt sich nicht leugnen, hatte die allerbeste Sache angefangen. Hätte er nur eine so wichtige Sache mit gemäßigter Stimme und Sprache geführt und sein Gutes nicht durch unerträglich Schlechtes verpfuscht!“ Der Streit zwischen dem kämpferischen Reformator und dem feinsinnigen Humanisten eskalierte: Luther nannte Erasmus von Rotterdam einen „fleischgewordenen Teufel“ und kommentierte eine letzte kritische Auseinandersetzung folgendermaßen: „Wer den Erasmus zerdrückt, der würget eine Wanze, und diese stinkt noch tot mehr als lebendig.“ Am 20. Juni 1530 ruft Kaiser Karl V. in Augsburg den Reichstag zusammen, mit der Absicht, die Spaltung zu verhindern, aber vergebens: Die Hoffnung des Humanisten Erasmus von Rotterdam auf innere Reformen und die Einheit aller Christen erfüllt sich nicht. Die von Luther und seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern angestoßene Reformation verändert Kirche und Gesellschaft nachhaltig und führt zur Aufspaltung in verschiedene Konfessionen (katholisch, lutherisch, reformiert).

Infokasten: Erasmus von Rotterdam

Erasmus (Desiderius) von Rotterdam wurde zwischen 1465 und 1469 geboren und wirkte bis zu seinem Tod im Jahr 1536 als Theologe, Priester, Philologe, Schriftsteller und Philosoph. Im Alter von 14 Jahren verlor er seine Eltern und trat nach seiner Schulzeit ins Augustinerchorherrenstift Steyn bei Gouda ein. Dort begeisterte er sich für den Humanismus und die Renaissance der Antike. Im April 1492 wurde er zum Priester geweiht und verließ ein Jahr später das Kloster, um in den kommenden Jahren das Latein- und Griechisch- Studium in Paris aufzunehmen. Doch dies allein füllte ihn nicht aus; er wollte reisen: Von Paris nach Belgien und London, später als Gelehrter nach Basel und Freiburg. Kaiser Karl V. holte ihn 1516 als Hofrat nach Brüssel. Er korrespondierte mit vielen wichtigen Denkern und Gelehrten seiner Zeit, wie Thomas Morus und John Colet. Im Laufe seines Lebens verfasste er etwa 150 Bücher und hinterließ über 2.000 Briefe. Er schrieb ausschließlich in der „lingua franca“ (Latein und Griechisch).

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Sandra Kampmann