Die „Germania“ des römischen Geschichtsschreibers Tacitus ist die berühmteste Quelle für unser heutiges Germanenbild. Es grenzt an ein Wunder, dass das schmale Werk die Jahrhunderte überdauerte und erhalten blieb. Tacitus schrieb seine Beobachtungen vermutlich um das Jahr 98 n. Chr. nieder, als das römische Reich seine größte Ausdehnung erreicht hatte. Der römische Historiker gilt als der Germanen-Kenner. Doch woher nahm er sein Wissen? Woher stammten seine Quellen? Althistoriker bezweifeln, dass Tacitus jemals selbst in germanischen Gebieten unterwegs war. Vielmehr bezog er seine Informationen vorwiegend aus literarischen Quellen wie Caesars Werk über den Gallischen Krieg oder aus den Exkursen über die Germanen aus den Schriften des Titus Livius oder Plinius, des Älteren. Viele Beobachtungen übernahm Tacitus auch aus mündlichen Quellen wie Reiseberichten von Zeitgenossen oder Berichten von Legionären, die am Römisch-Germanischen Limes stationiert waren.
Unklar ist bis heute seine Absicht, die er mit der Niederschrift der Germania verfolgte. Historiker streiten darüber, ob er mit seiner Darstellung den Römer einen Sittenspiegel vorhalten wollte oder ob es ihm um eine ethnologische Beschreibung der Germanen ging. Andere Forschungsergebnisse ziehen auch in Betracht, dass er die Römer vor dem Eroberungswillen der Germanen warnen wollte. Von Tacitus selbst ist darüber nichts überliefert. Nur ein Satz ist belegt: Er wolle seine Studien, die sich in einen allgemeinen und besonderen Teil gliedern, ohne Hass und Vorliebe (sine ira et studio) niederschreiben.
Allerdings lässt Tacitus` polarisierendes Germanenbild an dieser Absicht zweifeln. Einerseits lobt er die sittliche Lebensweise, die Wertschätzung der Familie und die Tapferkeit der Germanen, unterstellt ihnen aber andererseits überbordenden Alkoholkonsum und Faulheit. Zudem verurteilt er das einfache Essen an und zeichnet das Bild eines nachlässig gekleideten, wilden Volkes. Historiker und Archäologen konnten manche seiner Aussagen bestätigen, andere korrigieren. Trotzdem sind viele Rätsel über das Leben der Germanen ungelöst. Dank modernster Technik, die bei Grabungsfunden angewendet wird, weiß man zwar, was die Germanen aßen und welche Textilien sie trugen, aber über Details wie Haartracht, Farben und Muster der Kleidung sowie Schminke kann man nur spekulieren. Wie auch über diesen, von Tacitus überlieferten Mythos: Der Germanenstamm der Nahanarvaler aus dem Norden greife vorzugsweise nachts mit schwarzer Körperbemalung und schwarzen Schilden an. Ob das so war? Wer weiß das schon.