Fünf Wochen Spechtbeobachtung Ein Fazit Über fünf Wochen lang hat Spechtforscher Dr. Klaus Ruge im Favoritepark Ludwigsburg Spechte beobachtet. Jetzt zieht er ein ganz persönliches Fazit, fasst zusammen, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse mit dem SWR-Projekt bestätigt oder aber neu gewonnen werden konnten. Das letzte Mal im leeren Waldstudio. Ich lasse die vergangenen Wochen noch einmal an mir vorbeiziehen: unsere Furcht, es könnte etwas schief laufen, Wasser könnte in die Höhle rinnen, Marder die Jungen rauben, Fritz oder Friederike könnten das Mikrofon oder die Kamera zerklopfen. Die beiden waren einfach lieb, haben uns zugearbeitet. Schon vor diesem Projekt hatte ich schon oft in Spechthöhlen geschaut. Mit einem kleinen Spiegel und einem Lämpchen oder durch eine Holzklappe an der Rückwand. Jedes Hineinschauen jedoch war eine Störung, und immer waren es nur kurze Einblicke. Dieses Mal jedoch konnte ich fast fünf Wochen lang sehen, was in der Spechtwohnung vor sich ging. Zu jeder Tag- und Nachtzeit hab ich im Waldstudio gesessen, habe aufgeschrieben, was ich sah, habe spannende Szenen gefilmt. Viel Arbeit ist es gewesen. Doch die Zeit mit den Spechtkindern – ich habe sie nicht bereut. Ich blättere in meinen Aufzeichnungen, suche heraus, was mir besonders aufgefallen ist. Ziel dieses SWR-Projekts war, den Radiohörern, Fernsehzuschauern und den Nutzern im Internet die Spechte und das Spechtleben näher zu bringen. Wir wollten aber auch Neues über das Spechtleben erfahren, wollten wissen, wie Spechtjunge heranwachsen, wie sich ihr Verhalten entwickelt. Bestätigen konnten wir, dass Mittelspechte tatsächlich nur neun Tage brüten, bis die Jungen schlüpfen. Neu für mich war, dass die Jungen schon am zehnten Lebenstag nachts nicht mehr gewärmt wurden. Fritz war zwar in der Höhle, aber er klammerte an der Wand. Zuerst waren die Mittelspechtkinder einfach Fresssäcke. Obwohl die Augen bis zum achten Tag geschlossen waren - wenn es in der Höhle dunkel wurde, wenn beispielsweise Fritz im Höhlenloch erschien, schnellten die Köpfe empor. Fritz stopfte Nahrung in den Rachen, ohne den Schnabelwulst zu berühren. Sicher ist, dass es nicht das Geräusch des am Stamm kletternden Elternvogels war, das sie zum Aufsperren der Schnäbel veranlasste. Sie sperrten nämlich auch, wenn wir das Licht in der Höhle abdunkelten. Wir konnten sehen, wie das Weibchen Eischalenreste fraß, und wie das Männchen ein totes Junges aus der Höhle trug. Erstes Putzen am zehnten Lebenstag Am zehnten Tag putzten sich die Spechtkinder das erste Mal. Einen Tag später fiel mir auf, dass sie häufig züngeln. Am 12. Tag waren die Federn kräftig gewachsen, sie sahen wie Igel aus, und die Kopfplatte wurde rot. Und sie fingen an, an der Höhlenwand hinaufzuklettern. Deutlich sah ich die Krallbewegung. Aus dem kindlichen Knören der ersten Tage wurde ein rhythmisches Kicksen. Am 14. Tag brachen die Federn aus den Kielen hervor. Am 15. Tag übernachtete Fritz nicht mehr bei seinen Jungen. Zwei Tage später sehe ich, wie die Jungen gegen einander hacken. Aber erst am 20. Tag hacken sie gezielt in kleine Kerben und gegen Käfer oder Spinnen, die in der Höhle herumliefen. Einen Tag später sehe ich, wie sie mit den Flügeln schlagen, das Gefieder schütteln, Flügel strecken. Die Jungen werden immer unruhiger, am 22. Tag schauen sie immer wieder zum Höhlenloch hinaus, plautzen dann auf den Boden, schlagen mit den Flügeln. Doch sind sie noch nicht bereit, in die fremde Welt hinaus zu fliegen. Erste Flugversuche am 23. Lebenstag Die ersten Jungen kletterten aus der Höhle (23.Lebenstag) bis zur Spitze des Höhlenbaums und flogen von dort weg. Die letzten beiden verließen die Höhle einen Tag später. Sie flogen direkt vom Höhlenloch weg. Ich hatte den Eindruck, dass sie viel ungeduldiger waren und ihr Drang, nach Draußen zu gehen, "gereifter" war. Welches Futter die Spechte heranschleppten, war nicht leicht zu erkennen. Es waren ja immer ganze Büschel. Wir erkannten Schnaken, rote Feuerkäfer, Ohrwürmer, grüne Raupen, Weberknechte. Wir haben einige Kotballen gesammelt. Ich bin gespannt, was mein Kollege, Anton Kristin, noch daran ablesen kann. Ich hoffe aber auch, dass die Filmaufnahmen noch helfen, weitere Beutetiere zu erkennen. Jedenfalls habe ich deutlich gesehen, wenn Buntspecht und Mittelspecht Junge haben, sammeln sie das Futter von Blättern und Zweigen und sind dann keine Hackspechte wie Schwarzspecht oder Dreizehenspecht. [Real Video: Jungvögel bei der Fütterung] Alte Baumbestände bevorzugt Deutlich konnten wir sehen, wie die Mittelspechte die Parkbereiche mit uralten Eichen bevorzugten. Das bestärkt mich, vermehrt dafür zu werben, den Mittelspechten alte Baumbestände, vor allem Eichen, zu erhalten. Nur dann werden wir uns am Mittelspecht auch in Zukunft erfreuen können. Gefreut hat mich, dass viele Internetnutzer an dem Schicksal von Fritz, Friederike und ihren Jungen teilgenommen haben. Ich bin froh, dass alle gesund ausgeflogen sind und hoffe, dass sie auch die nächsten Wochen überleben. Die jungen Mittelspechte werden den Favoritepark zwar verlassen, vielleicht fallen aber einem Beobachter in der Umgebung von Ludwigsburg Mittelspechte auf, die am rechten Fuß farbig beringt sind. Vierzig Filmspulen zu je dreißig Minuten haben wir aufgezeichnet. Die müssen noch ausgewertet werden. Uns steht noch einige Arbeit bevor. |