Brieftaube

Einführung
Himmelskompass
Magnetkompass
Geruchssinn

Vogelzug und Navigation

Vögeln stehen als Lebensraum fast alle Bereiche unserer Biosphäre zur Verfügung. Und weder Gebirge noch Ozeane oder Wüsten sind Hindernisse für die Zugwanderungen der Tiere, die seit langem von Menschen beobachtet werden konnten. So verwundert es auch nicht, dass Vogel-Wanderungen bereits seit dem Altertum erforscht werden.
"Von den Savannen übers Tropenmeer
Trieb sie des Leibes Notdurft mit den Winden.
Wie taub und blind, von weit- und altersher,
um Nahrung und Geäst zu finden.

Nicht Donner hielt sie auf, Taifun nicht, auch
Kein Netz, wenn sie was rief zu großen Flügen,
Strebend nach gleichem Ziel, ein schreiender Rauch,
Auf gleicher Bahn und stets in gleichen Zügen."

Auszug aus: Stephan Hermlin "Die Vögel und der Test"


Satelliten-TelemetrieWährend Kenntnisse über die Wanderrouten von Zugvögeln in früheren Zeiten durch zufällige oder systematische Beobachtung erlangt wurden, ist heutzutage neben der Vogelberingung die akustische Registrierung (gerade von Nachtziehern), Radarmessung und auch die Satelliten-Telemetrie verbreitet.
Für die Erforschung des Navigationsvermögens werden gezielte Versuche wie Verfrachtungen von Zugvögeln oder Heimkehrversuche mit Brieftauben vorgenommen.

Richtungsfindung oder "echte" Navigation?
Der niederländische Forscher Perdeck unternahm in den 50er Jahren einen klassischen Verfrachtungsversuch: Mehr als 10 000 Stare wurden in Holland gefangen, während sie sich auf dem Herbstzug von ihren Brutgebieten in Nordosteuropa zu ihren Wintergebieten im nördlichen Westeuropa befanden. Die Tiere wurden beringt und in die Schweiz verfrachtet. Dort wurden sie freigelassen und konnten ihren Zug fortsetzen.
Wie die folgende Abbildung zeigt, unterschied sich die Zugrichtung der Altvögel von der der Jungstare. Die Jungtiere, die sich auf dem ersten Herbstzug befanden, flogen parallel zum ursprünglichen Kurs nach Südfrankreich und auf die iberische Halbinsel weiter. Sie überwinterten in einem für ihre Population anormalen Gebiet. Offenbar "wussten" die Vögel, in welche Richtung sie ziehen und welche Zeit sie dafür verwenden mussten. Ihr - anormales - Zugziel erreichten sie durch Vektornavigation.
Die alten Stare hingegen, die bereits mindestens einmal in das Wintergebiet gezogen waren, konnten die Verfrachtung offenbar erkennen und kompensieren. Sie flogen in Richtung ihrer Ruhegebiete im Nordwesten Europas und erreichten sie zum Teil auch. Die Altvögel waren zu "echter" (Ziel-)Navigation fähig, d.h. konnten ein ganz bestimmtes, räumlich definiertes Ziel erreichen.

Wiederfunde von Jung- und Altstaren
Wiederfunde von Jungstaren (Punkte) und Altstaren (Dreiecke), die nach ihrer Verfrachtung in Basel (B), Genf (G) und Zürich(Z) freigelassen wurden.


Kompasse helfen bei der Navigation

Wie bereits in der Einführung erwähnt, nutzen viele Lebewesen biologische Kompasse wie den Sonnenkompass zur Orientierung. Diese Kompasse sind Mechanismen, die die Tiere befähigen, konstante Richtungen unter Zuhilfenahme ihrer jeweiligen Wahrnehmung und externer Bezugssysteme einzuhalten. Der Vorteil: Diese Kompasse funktionieren auch ohne Land- oder Seemarken, bei schlechten Sichtverhältnissen und in unbekannten Gebieten.

StarDer Sonnenkompass
Während der Zugzeit zeigen gekäfigte Stare tagsüber Zugunruhe. Mit Hilfe von Orientierungskäfigen kann dabei ermittelt werden, welche Richtung ein Vogel dabei einschlägt.
Bereits 1950 machte der Vogelforscher Gustav Kramer dabei eine wichtige Entdeckung:
Bei Sicht der Sonne wenden sich Vögel dabei in die Richtung, die der Zugrichtung freilebender Artgenossen entspricht. Diese Richtungspräferenz tritt nicht auf, wenn der Himmel vollständig bedeckt ist.


Die Fußspuren eines zugunruhigen Stars wurden mit Hilfe eines Trichterkäfigs erfasst. Bei klarem Himmel zeigen die aufgezeichneten Fußspuren eines Stars die Gerichtetheit der Zugunruhe. Die mittlere bevorzugte Richtung (s. Pfeil) entspricht der Zugrichtung freilebender Stare.

Bei bedecktem Himmel erfolgen die Fußspuren des Versuchstiers nicht in eine bestimmte Richtung. Hier spricht man von ungerichteter Zugunruhe.

Kramer schloss aus diesen Beobachtungen, dass die Sonne als Richtgröße für die Orientierung fungierte. Zur Überprüfung seiner Hypothese wurde die Einfallsrichtung des Sonnenlichts durch Spiegel an den Seiten des Käfigs verändert. Das Ergebnis: mit der veränderten Lichteinfallrichtung änderten die Stare - in voraussagbarer Weise - ihre Richtungspräferenz. Der Sonnenkompass war entdeckt.
Spätere Untersuchungen zeigten, dass die entscheidende Variable für die Orientierung der Azimut ist, d.h. der Winkel auf dem Horizontkreis zwischen Meridian und Höhenkreis. Da sich der Sonnenstand im Laufe des Tages verändert, müssen Vögel die Fähigkeit besitzen, dies bei ihrer Orientierung zu berücksichtigen. Und folgerichtig wurde der Zeitsinn - eine "innere Uhr" - bei Staren und Brieftauben nachgewiesen.

Durch die getrübten Haftschalen vermag die Brieftaube noch Horizont und Sonnenstand ungefähr zu bestimmen, Einzelheiten wie Häuser und Bäume kann sie nicht mehr erkennen.Die Bedeutung des Sonnenkompasses bei der Orientierung von Brieftauben untersuchte der Tübinger Zoologe Dr. Schmidt-König. Dabei wurden das Sehvermögen der Tauben durch getrübte Haftschalen eingeschränkt.





Video: Versuch zur Bedeutung des Sehvermögens bei der Orientierung von BrieftaubenWie das Video zeigt, fliegen die Brieftauben trotz ihrer Sehbehinderung in Richtung ihres Schlages los. Dies spricht für die Orientierung mit Hilfe des Sonnenkompass. Die Probleme im Nahbereich des Schlages sprechen dafür, dass die Vögel hier i.d.R. eine andere Form der Orientierung - das Pilotieren - nutzen.
[ Real-Video: Taube - Sehen ]


Der Sonnenkompass kann nur dann zu richtigen Ergebnissen führen, wenn er auf die jeweilige geographische Breite, in der ein Tier lebt, bezogen wird. Die Frankfurter Zoologin Dr. Roswitha Wiltschko stellte fest, dass er von jungen Brieftauben in einer sensiblen Phase ihrer Entwicklung erlernt wird. Nur wenn die Vögel die Sonnenbahn zu verschiedenen Tageszeiten beobachten, kann eine Verknüpfung mit der jeweiligen Tageszeit und der Richtung stattfinden.


Magnetkompass
Taube mit Magnetplättchen
Taube der Kontrollgruppe mit Metallplättchen

Neben dem Sonnenkompass besitzen Vögel - neben anderen Tieren - einen weiteren Kompass, der ihnen bei der Orientierung gute Dienste leistet: den Magnetkompass.

Untersuchungen zum Magnetkompass bei Brieftauben wurden u.a. vom Frankfurter Zoologen Dr. W. Wiltschko vorgenommen, der mit seinem Team Tauben in der Wetterau bei bedecktem Himmel aufließ, so dass der Sonnenkompass der Tauben nicht eingesetzt werden konnte.
Einem Teil der Vögel wurden kleine Magnetplättchen aufgeklebt, durch die Störungen der Wahrnehmung des Erdmagnetfeldes evoziert wurden. Eine Kontrollgruppe wurde mit gleichschweren Metallplättchen versehen.



Das Versuchsergebnis:
Die Tauben der Kontrollgruppe flogen nach der Auflassung sofort und auf schnellstem Weg zum heimatlichen Schlag. Dagegen hatten die Brieftauben mit den Magnetplättchen große Probleme bei der Orientierung. Sie fanden alle später als die Tiere der Kontrollgruppe - zum Teil erst nach Tagen - den Weg zum Schlag.
Video: Experiment zur Orientierung von Brieftauben bei gestörter Wahrnehmung des Erdmagnetfeldes
[ Real-Video: Taube - Magnetfeld ]

Wiltschko zog daraus den Schluss, dass Brieftauben fähig sind, das Erdmagnetfeld zur Orientierung zu nutzen. Wie weitere Experimente zeigten, verwenden die Tauben - wie auch andere Vögel - dabei den Neigungswinkel der Feldlinien, die sogenannte Inklination.

Dies mag für uns erstaunlich sein - was aber vor allem daran liegt, dass Menschen das Erdmagnetfeld nicht bewusst wahrnehmen. Doch im Gegensatz zu uns besitzen zahlreiche Tiere Sinnesorgane zur Perzeption dieses geophysikalischen Faktors. Im einfachsten Fall reichen Magnetitpartikel einem Organismus: Das langgestreckte marine Bakterium Aquaspirillum magnetotacticum enthält parallel zur Körperachse eine Reihe dieser Partikel, die zusammengenommen wie eine Magnetnadel mit Nord- und Südpol wirken. Die Mikroorganismen richten sich entsprechend parallel zum lokalen Magnetfeld aus, wodurch eine Orientierung möglich wird.


Ein Experiment und seine Folgen

Der italienische Zoologe Papi veröffentlichte 1971 die Ergebnisse seiner Untersuchungen zur olfaktorischen Navigation von Brieftauben. Seine Hypothese: Tauben navigieren aufgrund windtransportierter Geruchsstoffe.

Versuche zur olfaktorischen Navigation von BrieftaubenPapi und sein Team stellten Versuche an, in denen das Geruchsvermögen der Brieftauben ausgeschaltet wurde. Die Vögel wurden auf Umwegen und in geruchsfreien Behältnissen zu den Auflassorten transportiert und freigelassen. Das Ergebnis: Die Brieftauben waren sowohl in ihrer Anfangsorientierung als auch bei der Heimkehrleistung beeinträchtigt.
Video: Versuche zur olfaktorischen Navigation von Brieftauben
[ Real-Video: Taube - Geruch ]

Da diese Ergebnisse sich in Versuchen mit amerikanischen und deutschen Brieftauben nicht wiederholen ließen und da auch Tauben ohne Geruchssinn bei Heimkehrversuchen ihren Schlag erreichten, änderte Papi seine Hypothese dahingehend, dass die geruchliche Navigation nicht generell, wohl aber in Italien eine wichtige Rolle bei der Brieftauben-Navigation spiele.

Noch unklar ist, welche Richtgröße die Navigation ermöglicht. Denn es ist fraglich, ob sich durch in der Atmosphäre verteilte Duftstoffe bei den regelmäßig starken Bewegungen durch den Wind eine Art "Duftkarte" über der Landschaft etablieren kann.