Militärische Fehlalarme hat es schon seit dem Anfang des atomaren Zeitalters gegeben. Eine besondere Gefahr entfalteten sie aber in den Jahren erhöhter Spannungen zwischen den beiden Machtblöcken. Das traf insbesondere für die späten 70er und 80er Jahre zu, als ein erneutes atomares Wettrüsten die Entspannungspolitik ablöste und das gegenseitige Misstrauen zwischen den beiden Weltmächten einen neuen Höhepunkt erreichte. Erinnerungen von Zeitzeugen und die seit 1989/1990 freigegebenen Akten aus sowjetischen Geheimarchiven zeigen, in wie vielen, bisher oft unbekannten Fällen die Welt nur knapp einem Atomkrieg entkommen ist.
Eine Schlüsselrolle in den Verteidigungskonzepten beider Militärblöcke spielten die Raketenfrühwarnsysteme. Sie funktionierten aber nicht immer einwandfrei, wie die amerikanische Militärführung am 9. November 1979 feststellen musste. Im Morgengrauen dieses Tages meldete General William Odom, Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates, dem Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter, dass sich etwa 220 Nuklearraketen im Anflug auf die USA befänden. Minuten später meldete das System einen massiven Angriff mit über 2.000 sowjetischen Raketen. Da andere Teile des Frühwarnsystems diese Meldungen nicht bestätigten, konnten die Vorbereitungen für einen sofortigen amerikanischen Vergeltungsschlag gerade noch abgewendet werden. Es stellte sich heraus, dass ein Techniker des NORAD, des Nordamerikanischen Luft-Verteidigungskommandos, versehentlich Daten ins Computersystem des US-Abwehrsystems eingespeist hatte, die einen atomaren Schlag der Sowjetunion simulieren sollten. Dies war nur eine von fünf Pannen innerhalb von acht Monaten in den Jahren 1979/1980.
Auch auf sowjetischer Seite gab es Fehlmeldungen mit potenziell verheerenden Folgen. Am 26. September 1983 war Oberstleutnant Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow diensthabender Offizier im Serpuchow-15-Bunker außerhalb von Moskau, wo er mit der computer- und satellitengestützten Überwachung des Luftraumes betraut war. Kurz nach Mitternacht meldete der Computer den Anflug einer einzigen amerikanischen Atomrakete. Da Petrow von der Wahrscheinlichkeit eines viel größeren Angriffs ausging, interpretierte er dies als Fehlmeldung, zumal sich das Frühwarnsystem bereits mehrmals als unzuverlässig erwiesen hatte. Als das Computersystem etwas später den Abschuss von vier weiteren Raketen meldete, beschloss Petrow, auch diese Nachricht seinen militärischen Vorgesetzten vorzuenthalten. Er hatte zwar keine Möglichkeit, die Richtigkeit seiner Einschätzung zu überprüfen, nach wie vor glaubte er aber, dass in der angespannten inter-nationalen Lage der frühen 80er Jahre die Amerikaner nur einen Angriff viel größeren Ausmaßes wagen würden. Es stellte sich heraus, dass das satellitengestützte Raketen-Frühwarnsystem Sonnenreflexionen auf Wolken in der Nähe der Malstrom Air Force Base in Montana, wo amerikanische Interkontinentalraketen stationiert waren, als Raketenstarts interpretiert hatte. Indem sich Petrow eigenmächtig über seine Dienstvorschriften hinwegsetzte, verhinderte er eine katastrophale Eskalation der militärischen Gewalt.
Weniger als zwei Monate später kam es zu einem weiteren Vorfall, der vielleicht prekärsten internationalen Krise seit der Kuba-Krise. Am 2. November 1983 begann Able Archer, ein zehntägiges Nato-Manöver, an dem hochrangige Politiker und Militärs teilnahmen und das den Ernstfall eines Atomkriegs simulieren sollte. Die Sowjetunion ging davon aus, dass diese Übung der Vorwand für einen echten Atomschlag der Nato-Mächte sein könnte. Schon seit 1981 war die sowjetische Führung überzeugt davon, dass ein amerikanischer Militärschlag bevorstehe. Deshalb hatte sie auch das bisher größte Spionage-Projekt in der Geschichte der Sowjetunion angeordnet: Operation Ryan, eine Spionageoffensive, die Pläne des Westens für einen Angriff aufdecken sollte.
Der Eindruck eines bevorstehenden Atomschlags wurde durch eine Reihe von Ereignissen im Laufe des Jahres 1983 verstärkt: Am 23. März kündigte Präsident Reagan seine Strategic Defense Initiative (SDI) an und heizte damit die Debatte um das Wettrüsten weiter an. Am 1. September 1983 wurde eine koreanische Passagiermaschine wegen Verletzung des sowjetischen Luftraums von der sowjetischen Luftwaffe abgeschossen. Und am 25. Oktober 1983 schließlich besetzten die USA die Insel Grenada, um dem Aufbau eines kommunistischen Regimes zuvorzukommen. Die Sowjetunion versetzte ihre Streitkräfte in Alarmbereitschaft. Erst mit dem Ende des Manövers entspannte sich die Situation. Jetzt erst wurde der amerikanischen Staats- und Militärführung klar, wie ernst die sowjetische Befürchtung eines atomaren Schlags zu nehmen waren und wie sehr nukleare Planspiele wie Able Archer den Weltfrieden gefährden konnten.
Als Politiker und Militärs in der Bundesrepublik die Friedensbewegung nicht mehr übersehen konnten, als Pazifisten Sturm liefen gegen die Nachrüstungspolitik, wie sie 1979 im sogenannten Nato-Doppelbeschluss vereinbart worden war, trat die „Psychologische Verteidigung der Bundeswehr“ – kurz PSV – auf den Plan. Unter ihrem Leiter Günther Wagenlehner beschloss die PSV: „Die Abhängigkeit der „Friedensbewegung“ einschließlich des Krefelder Appells von kommunistischen Direktiven und Argumenten muss nachgewiesen und gezielt verbreitet werden. Dazu gehört die Wahrheit über die SS-20 und die Notwendigkeit der Nato-Nachrüstung.“ Aber als die PSV im Sommer 1981 zur „Aufklärung“ ansetzte, da hatte sie den Kampf um die Herzen und Köpfe der westdeutschen Bevölkerung im Grunde bereits verloren.
Der Osten feierte seinen scheinbar größten Propaganda-Erfolg im Kalten Krieg: Die Mehrheit der Bundesbürger lehnte die Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenraketen ab. Westmitarbeiter der „Stasi“ hatten den Auftrag, der Friedensbewegung einen antiamerikanischen Einschlag zu geben. Aus Sicht von Markus Wolf besonders erfolgreich war dabei Gerhard Kade, ehemaliger Darmstädter Hochschullehrer, beim Ministerium für Staatssicherheit (MfS) unter dem Decknamen „Super“ als „inoffizieller Mitarbeiter“ (IM) geführt.
Über Gerhard Kade schleust die Stasi damals jährlich 100.000 DM an die Initiative „Generale für den Frieden“, die Kade initiiert hat und deren inoffizieller Geschäftsführer er ist. Als er Gert Bastian für eine Mitarbeit in der Initiative gewinnt, ist Ostberlin begeistert. Ist doch Gert Bastian, der Generalmajor a. D., eine Ikone der westdeutschen Friedensbewegung. Schon das Buch „Generale für den Frieden“, welches die Initiative 1983 herausbringt, trägt an mehreren Stellen die Handschrift der Ostberliner. Höhepunkt der Kampagne soll aber ein Film sein, von dem sich die DDR-Führung einen weltweiten Propagandaerfolg verspricht.
Am 24. März 1986 begutachten die Sprecher der Initiative „Generale für den Frieden“. Michael Harbottle (Großbritannien), Hermann von Meyenfeldt (Niederlande), Johan Christie (Norwegen) und Gert Bastian aus der Bundesrepublik eine erste Fassung des Filmes „Die Generale“, an dem Walter Heynowski und Gerhard Scheumann seit über zwei Jahren arbeiten. Nach außen hin wird später die Entstehungsgeschichte verschleiert, der Film als eine „internationale Koproduktion“ dargestellt. Damit soll dem befürchteten Eindruck entgegengewirkt werden, es sei ein Propagandastück. Wenige Monate später kommt der Film zur Aufführung, am 6. Mai 1986 zuerst im Palais Wittgenstein in Wien, die DDR-Premiere folgte am 25. September in der Akademie der Künste der DDR in Berlin.
Für das Ministerium für Staatsicherheit war der Film ein großer Erfolg im „Friedenskampf“, auch wenn das ursprüngliche Ziel – die Verhinderung der Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen nicht hatte erreicht werden können. Als der Film anlief, war die Nachrüstung bereits erfolgt, die westdeutsche Friedensbewegung hatte ihren Zenit überschritten. Darüber, warum sich Männer wie Gert Bastian vor den Propagandakarren spannen ließen, kann nur spekuliert werden. Vielleicht stimmt, was Günther Wagenlehner, der ehemalige Leiter der PSV annimmt: Bastian habe sich für eine prosowjetische Kampagne eingesetzt, aber subjektiv geglaubt, es sei seine eigene.
Obwohl das MfS seine Arbeit als großen Erfolg darstellte, gab es auch, wie es im Stasi-Deutsch hieß, „hemmende Faktoren“. Zum Beispiel die „Öko-Pax“-Fraktion innerhalb der Friedensbewegung, die sich nicht davon abbringen ließ, auch in den sowjetischen SS-20 eine Bedrohung zu erkennen. Ein Alptraum aus Sicht des MfS waren all diejenigen, die sich – wie zum Beispiel Petra Kelly – mit der Friedensbewegung im Osten solidarisierten, gegen deren Unterdrückung protestierten und sich gegen die Atomwaffen in West und Ost wandten. Die ostdeutsche Friedensbewegung hatte sich 1980 unter dem Bibelzitat „Schwerter zu Pflugscharen“ in evangelischen Kirchenkreisen formiert, um gemeinsam mit der westdeutschen Friedensbewegung für eine Entmilitarisierung beider deutscher Staaten einzutreten. Als eine westliche Friedensgruppe im Oktober 1983 an der Mauer Luftballons mit persönlichen Friedensbotschaften aufsteigen ließ, war die Stasi in Ostberlin in hektischer Aufregung. Dutzende von Mitarbeitern wurden ausgeschickt: zur Jagd auf die bunten Luftballons mit den Friedens-Botschaften.