Erstaunliches geht vor in unseren Gärten. Dinosaurier durchstreifen auf Nahrungssuche die Vorgärten in großer Zahl. Zeitig im Frühjahr sorgen sie für eine faszinierende Klangkulisse, und im Winter füttern wir sie sogar.
Der Stoff aus einem neuen Fantasy-Film? Neue Gutenacht-Geschichten für dinosaurierbegeisterte Schuljungen? Weit gefehlt – hier handelt es sich um knallharte wissenschaftliche Fakten! Aber der Reihe nach...
In der traditionellen Systematik werden die Wirbeltiere in fünf Klassen eingeteilt, die gleichberechtigt nebeneinander stehen:
Folgt man dieser Klassifikation, sind alle Mitglieder einer bestimmten Wirbeltierklasse untereinander näher miteinander verwandt als mit einem Vertreter einer anderen Klasse. Zum Beispiel ist ein Feuersalamander näher mit einem Frosch verwandt als mit einer Eidechse. Denn Frosch und Salamander sind Amphibien, die Eidechse ist ein Reptil. Ist ja klar, oder? Dann müssen Eidechsen und Krokodile auch eng miteinander verwandt sein, denn beide gehören zu den Reptilien.
Nun glauben aber moderne Systematiker, dass die nächsten Verwandten der Krokodile in der heutigen Welt die Vögel sind und nicht etwa Eidechsen oder Schildkröten, obwohl das doch auch Reptilien sind. Wie kann das möglich sein?
Zugegeben, auf den ersten Blick würde man einer Blaumeise und einem Nilkrokodil nicht gerade engere Nachbarschaft unterstellen. Und doch haben sie mehr gemeinsam, als man zunächst vermuten könnte. Vor allem aber haben sie eine gemeinsame Herkunft. Und die gemeinsame Abstammung ist es, die in der modernen Systematik im Mittelpunkt steht.
Vögel gibt es schon seit vielen Millionen Jahren. Bereits im Jahr 1860 wurde im jurassischen Plattenkalk bei Solnhofen in Bayern der versteinerte Abdruck einer Feder entdeckt. Damit war nachgewiesen, dass vor 150 Millionen Jahren offensichtlich Vögel existierten. Wenig später wurde das Tier entdeckt, zu dem die Feder gehörte – ein Tier mit einem kuriosen Mix aus Vogel- und Reptilienmerkmalen, der berühmte Archaeopteryx.
Archaeopteryx besitzt einen langen knöchernen Schwanz und Zähne im Kiefer wie ein Reptil, kein moderner Vogel hat diese Merkmale. Aber Archaeopteryx verfügt auch über modern anmutende Schwungfedern – ein klassisches Vogelmerkmal.
Tatsächlich hat man mittlerweile viele Fossilien gefunden, die von ihrer Anatomie her eindeutig Dinosaurier sind, doch ebenfalls über federähnliche Strukturen verfügen. Mehr und mehr kristallisiert sich eine sehr enge Verwandtschaft zwischen Vögeln und Dinosauriern heraus. Inzwischen ist klar: Vögel sind innerhalb der Dinosaurier entstanden, ihre allernächsten Verwandten unter den Dinosauriern sind Mitglieder einer bestimmten Gruppe von Raubsauriern, den Dromaeosauriern. Ein gut bekanntes Beispiel eines Dromaeosauriers ist der Velociraptor, ein etwa zwei Meter langer Räuber aus der Kreidezeit – den meisten wahrscheinlich aus dem Film „Jurassic Park“ als notorisch lästiger Menschenfresser bekannt. In Wirklichkeit sind sich Velociraptoren und Menschen nie begegnet, sie trennen mehr als 60 Millionen Jahre!
Wenn aber die Vögel die nächsten Verwandten einer bestimmten Gruppe von Raubsauriern sind, also tief im System der Dinosaurier verwurzelt sind, dann sind Vögel auch Dinosaurier – streng systematisch gesehen. Sowohl Vögel als auch alle anderen Dinosauriergruppen bilden eine Großgruppe, der auch noch weitere Gruppen wie die Flugsaurier und die Krokodile angehören. Bekannt ist diese Gruppe als Archosaurier. Sie entstand bereits im Perm vor über 250 Millionen Jahren. Im Laufe der Zeit entstanden immer neue Archosauriergruppen, von denen die Dinosaurier die bekanntesten sind.
Alle Archosaurier gehen auf einen gemeinsamen Vorfahren zurück. Das heißt, alle Mitglieder der Archosaurier sind untereinander enger verwandt als mit irgendeinem Tier außerhalb der Archosaurier. Wenn also sowohl Krokodile als auch Vögel zu den Archosauriern gehören, die Eidechsen und Schildkröten aber nicht, folgt daraus eine engere Verwandtschaft zwischen Vögeln und Krokodilen. Dies ist heutzutage umso verwirrender, als die Dinosaurier und damit alle Zwischenformen mit Vogel- und Reptilienmerkmalen ausgestorben sind. Genauso verschwunden sind die Flugsaurier und viele, viele andere Archosauriergruppen. Genaugenommen haben es nur zwei Gruppen in die Jetztzeit geschafft, eben die Vögel und die Krokodile!
Es kommt hier also nicht auf Ähnlichkeit an. Krokodile unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von Vögeln, aber sie haben mit diesen eine gemeinsame Abstammung. Und gemeinsame Abstammung heißt nähere Verwandtschaft. Schließlich ist man mit seinen Eltern und Großeltern auch näher verwandt als mit anderen Mitmenschen, ob man will oder nicht. Und man teilt Merkmale mit ihnen. So kann David die gleiche krumme Nase wie Opa Karl haben und Sabine die O-Beine ihrer Mutter Gerlinde.
Tatsächlich gibt es eine Reihe von Merkmalen, die Vögel und Krokodile von einem gemeinsamen Vorfahren geerbt haben, auch wenn dieser schon seit Urzeiten ausgestorben ist. Viele dieser Merkmale betreffen die Knochen des Schädels oder der Fußgelenke. Vergeht nun eine geraume Zeit, sagen wir viele Millionen Jahre, können die Nachkommen dieses gemeinsamen Urahnen sehr unterschiedliche Entwicklungen nehmen, bis hin zur äußerlichen Unähnlichkeit.
Trotzdem besteht eine engere Verwandtschaft durch die gemeinsame Herkunft. Bei genauerer Untersuchung lässt sich das durch bestimmte Merkmale nachweisen. Besonders schwierig kann die Verwandtschaft zwischen Gruppen zu erkennen sein, deren Zwischenformen sämtlich ausgestorben sind – so wie es bei Vögeln und Krokodilen der Fall ist.
In der herkömmlichen Systematik bilden die Reptilien eine der fünf Wirbeltierklassen. Krokodile, Eidechsen, Schlangen und Schildkröten bilden demnach enge Verwandte, die sich zum Beispiel durch eine schuppige Haut oder das Fehlen einer gleichbleibenden Körpertemperatur auszeichnen. Auch die Dinosaurier sind demnach zu den Reptilien zu rechnen.
Viele der typischen „Reptilienmerkmale“ entpuppen sich jedoch bei genauerem Hinsehen als stammesgeschichtlich sehr alte Merkmale, die bereits bei den Vorfahren der Reptilien zu finden sind. So sind bspw. auch die Fische und Amphibien wechselwarm. Ein wechselwarmer Stoffwechsel ist also nicht charakteristisch für Reptilien, sondern für alle Wirbeltiere, außer den Vögeln und den Säugetieren. Solche alten Merkmale, die von den jeweiligen Vorfahren übernommen werden und daher nicht eine neue Gruppe charakterisieren, nennt man plesiomorphe (ursprüngliche) Merkmale.
Als Beispiel kann die Vogelfeder dienen, wenn man die Verwandtschaft von verschiedenen Vogelfamilien untersucht. Angenommen, man möchte herausfinden, mit welchen anderen Vogelgruppen die Spechte am engsten verwandt sind. Dazu schaut man sich die Merkmale der Vogelfamilien an. Das Merkmal des Federbesitzes bringt einen hier nicht weiter. Natürlich besitzen Spechte ein Federkleid, die anderen Vogelfamilien aber auch. Es handelt sich um ein altes ursprüngliches (plesiomorphes) Merkmal, solange man bei seiner Betrachtung innerhalb des Vogelreichs bleibt. Denn die Spechte und ihre möglichen Verwandten, Tukane, Bartvögel und andere, haben die Feder von ihren Vorfahren übernommen. Innerhalb der Vögel gilt die Existenz der Feder daher als ursprüngliches Merkmal.
Anders sieht die Sache aus, wenn man die Gruppe der Vögel als Ganzes mit anderen Wirbeltiergruppen vergleicht. Säugetiere oder Amphibien besitzen keine Federn. Im Vergleich zu diesen Wirbeltierklassen erscheint das Vorhandensein der Federn bei Vögeln als neues Merkmal, das die Vögel als eigenständige Gruppe charakterisiert. Solche neuen charakteristischen Merkmale, die für eine bestimmte Gruppe typisch sind, werden als apomorphe Merkmale bezeichnet.
Ein bestimmtes Merkmal ist also nicht für sich apomorph oder plesiomorph, sondern ist je nach Betrachtungsebene mal das eine, mal das andere. Innerhalb der Vogelsystematik gilt die Feder als ursprüngliches (plesiomorphes) Merkmal, beim Vergleich der Vögel mit anderen Wirbeltiergruppen als neues (apomorphes) Merkmal.
Wie oben bereits ausgeführt, Vögel entstanden innerhalb der Dinosaurier, ja, sie sind sogar Dinosaurier! Jedenfalls im systematischen Sinne.
Bezieht man die ausgestorbenen Dinosaurier in unsere Verwandtschaftsbetrachtung mit ein, wird der große Abstand zwischen den Vögeln und den Krokodilen deutlich. Vögel und Krokodile sind also eigentlich gar nicht so nahe miteinander verwandt. Denn alle Dinosaurier, die je gelebt haben, sind enger mit den Vögeln verwandt, die Krokodile stehen systematisch schließlich außerhalb der Dinosaurier.
Beschränkt man die Betrachtung aber auf heute noch lebende Gruppen, fallen all die vielen Dinosaurier fort, und mit ihnen viele andere Archosauriergruppen wie bspw. die Flugsaurier. Dann bleiben als überlebende Gruppen der Archosaurier nur die Krokodile und die Vögel übrig. Heute bilden sie also die engsten Verwandten!
Dass sie dabei höchst unterschiedlich aussehen und sich in vielen Merkmalen unterscheiden, spielt dabei keine Rolle. Sie haben sich ja auch eine sehr lange Zeit getrennt voneinander entwickelt. Entscheidend ist, dass vor sehr langer Zeit ein gemeinsamer Vorfahr gelebt hat, vom dem die Vögel, die Krokodile und auch die anderen Archosauriergruppen, vor allem die Dinosaurier, abstammen.
Betrachtet man nur heute noch lebende (rezente) Gruppen, bleiben von den Archosauriern lediglich die Krokodile und die Vögel übrig. Sie bilden daher Schwestergruppen.
Als wir die Feder weiter oben als typisches Merkmal der Vögel bezeichneten, haben wir ein kleines bisschen gemogelt. Denn Federn finden sich nicht nur bei Vögeln, wie man inzwischen weiß, sondern auch bei einigen Dinosauriern. Und zwar gerade bei den Dinosauriern, aus deren Umfeld einst die Vögel entstanden, den Dromaeosauriern.
Versteinerte Abdrücke von Federn oder federähnlichen Strukturen gibt es bei vielen Fossilien dieser Gruppe, selbst der oben erwähnte Velociraptor mag Federn besessen haben, obwohl er keine Flügel hatte und mit Sicherheit nicht fliegen konnte. Die Feder war also vor dem Vogelflug da. Möglicherweise hat sie zunächst zur Wärmeisolation gedient, ähnlich wie das Haarkleid bei den Säugetieren.
So unterstreicht das Merkmal der Feder nur umso eindrücklicher die enge Verwandtschaft der Vögel mit den Dinosauriern. Und ein kurzer Blick in den Vorgarten zeigt uns, dass die Dinosaurier nach wie vor quicklebendig unter uns sind....